Alex Benedict 06 - Firebird
Melissa.
Alex ging dazwischen. »Die Wahrheit. Lügen wird niemandem helfen.«
»Wir können ihn nicht erreichen«, sagte Melissa und betonte dabei jede Silbe mit großer Sorgfalt.
»Ich will zurück.« Cori weinte heftiger.
»Wir können nicht zurück, Cori. Das Schiff, auf dem du warst, ist in eine andere Richtung geflogen.«
Sabol war auch den Tränen nahe. »Warum habt ihr uns ihm weggenommen?«
»Wir haben versucht, euch zu helfen.«
»Und warum könnt ihr uns dann nicht zurückbringen?«
»Sabol, wir würden zurückgehen und ihn auch holen. Wenn wir das Schiff finden könnten. Aber wir wissen nicht, wo es ist.«
»Ich wünschte, ihr wäret nie gekommen.« Cori warf ihr Glas um, und die Tränen strömten über ihre Wangen.
»Wir sind eure Freunde, Cori.«
»Geh weg, Melissa«, sagte sie. »Bring mich zu meinem Vater.«
Hätten sie geglaubt, ihr Vater wäre tot, wäre es vielleicht einfacher gewesen. Aber die Trennung in dem Wissen, dass er irgendwo da draußen war und dass sie nicht zu ihm konnten, belastete sie sehr. Melissa war, nachdem sie ihre Gefühle wieder unter Kontrolle gebracht hatte, einfach großartig. Sie redete die ganze Zeit mit ihnen, begleitete sie in ihrem Leid, schnappte sogar etwas von der Sprache auf und versprach ihnen, wir würden sie nicht allein lassen und bei uns wären sie in Sicherheit. Und dass ihr Vater, eines Tages, auch gerettet werden würde. »Aber es wird lange dauern«, gestand sie. Das, was sie hier erlebte, half ihr, den Verlust ihrer Mutter zu verarbeiten, denke ich.
»Vielleicht«, sagte sie zu mir, »können wir ihnen erklären, was eine Zeitschleife ist. Damit sie wissen, dass es ihm gut geht, auch wenn sie ihn nicht wiedersehen sollten.«
Wir fütterten sie jeden Abend mit Schokoladeneis. Shara half Melissa, ihnen Nachthemden anzufertigen. Wir hatten keine frischen Kleider zum Wechseln für sie, also jagte sie ihre Kleider jeden Abend, wenn sie im Bett waren, durch den Reinigungsautomaten, und am Morgen lagen sie wieder für sie bereit.
Und ganz allmählich konnten wir alle etwas weniger emotionell miteinander sprechen.
»Wie lange wart ihr auf der Intrépide?«, fragte Shara.
Beide antworteten zugleich. Cori kannte den Namen nicht. Sabol musste darüber nachdenken. »Ungefähr drei Wochen, glaube ich. Alle haben doll Angst bekommen, weil der Captain nicht gewusst hat, wo wir waren.«
»Du wusstest, dass ihr euch verirrt hattet?«
»Natürlich. Und alle haben sich schrecklich aufgeregt.« Sie war ein hübsches Mädchen mit einem bereitwilligen Lächeln. Sie hatte leuchtende, kluge Augen und langes, honigblondes Haar. In diesem Moment aber blickten ihre Augen trübe. »Und jetzt haben sie sich wieder verirrt.«
Melissa sah in meine Richtung. Wie sollte sie einer Zwölfjährigen erklären, was los war? »Wir werden sie finden«, sagte sie.
Cori saß neben ihrer Schwester. »Wir verirren uns doch nicht, oder, Melissa?«, fragte sie.
»Nein, wir verirren uns nicht, Cori. Wir gehen nach Hause.« Dann, nach einer Pause: »Wo kommt ihr her?«
»Quepala.«
»Ist das eine Stadt?«
»Stadt?« Sie wirkte verwirrt. »Das ist unser Land.«
»Ist es ein schönes Land?«
»Ja. Ganz viele Leute kommen zu Besuch. Um das Meer zu sehen.«
»Und euer Vater, ist er Wissenschaftler?«
»Er ist Polizist.«
Alex verfolgte die Unterhaltung interessiert. Gelegentlich fragten die Mädchen nach Einzelheiten darüber, was mit ihnen passiert war, und er antwortete, dass Schiffe manchmal verloren gingen. »Aber nicht so ein Schiff wie das hier«, fügte er hinzu. »Aber manchen passiert das.« Später, als die Mädchen schliefen, gab er zu, dass er sich bei dem Versuch, ihnen das zu erklären, gar nicht wohlgefühlt hatte. »Wir sollten versuchen, das Thema so weit wie möglich zu vermeiden«, sagte er zu uns. »Ich glaube, wir sollten es Fachleuten überlassen, sich zu überlegen, wie man mit so etwas umgeht.«
Melissa war ganz seiner Meinung. Aber beide ignorierten ihre eigenen Ratschläge, wenn die Mädchen Fragen stellten oder Hilfe brauchten. »Eurem Papa geht es gut«, sagte Alex. »Ihr werdet ihn eine Weile nicht sehen können, aber es geht ihm gut.« Wenn ich heute, so viele Jahre später, zurückblicke, dann bin ich immer noch beeindruckt davon, wie gut sie mit der Situation umgegangen sind. Besonders Melissa. Ich weiß nicht, was wir ohne sie getan hätten. Bis wir das Heimatsystem erreicht hatten, war es ihr sogar gelungen, ganz beiläufig mit den Mädchen in
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