Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen
Beschreibung an den brummigen Straßburger Kollegen weiter. Zu meiner Überraschung rief er wenige Minuten später zurück und versprach, die Sache von nun an ernster zu nehmen. Er entschuldigte sich sogar für seine Unfreundlichkeit und die Schlamperei am Samstag, für die er selbst natürlich nichts konnte.
»Weiß man schon etwas zur Identität der ermordeten Frau?«, fragte ich.
Er stöhnte gequält. »Jung war sie. Viel zu jung zum Sterben. Nein, wir wissen noch nicht, wer sie ist. Schwarzhaarig war sie und gut gebaut. Bleibt uns wohl nichts übrig, als zu warten, bis eine passende Vermisstenmeldung …«
Jetzt erst verstand er den Hintergrund meiner Frage.
»Verzeihung, ich bin noch nicht ganz wach. Ich bin seit Samstagmorgen praktisch ununterbrochen im Dienst. Sie wollen natürlich wissen, ob unsere Tote Ihre Vermisste sein könnte. Da kann ich Sie beruhigen. Sie war schon mindestens vierundzwanzig Stunden tot, als man sie fand. Eventuell hat sie sogar seit zwei oder drei Tagen in dem Graben gelegen. Ein Wunder, dass man sie nicht früher gefunden hat, keine zwei Meter neben der Straße.«
Ich wünschte ihm betreten viel Erfolg bei seinem Fall, um den ich ihn nicht beneidete, und wandte mich erleichtert meinen eigentlichen Dienstaufgaben als Kripochef zu. Auf meinem Schreibtisch stapelte sich schon wieder der ungeliebte Papierkram.
Einen kurzen Aufschub verschaffte mir Sönnchen, mit bürgerlichem Namen Sonja Walldorf, meine Sekretärin und mein unermüdlicher Schutzengel im Chaos des Polizeialltags. Sie hatte offenbar gehört, dass ich zu Ende telefoniert hatte, und servierte mir unaufgefordert einen Morgencappuccino, den ich an Montagen ganz besonders zu schätzen wusste.
Wie üblich forderte ich sie auf, Platz zu nehmen und mir ein wenig Gesellschaft zu leisten. Wir besprachen die Termine der Woche, die zum Glück überschaubar waren, diskutierten das Leben im Allgemeinen und die Dummheit mancher Menschen im Besonderen sowie den Umstand, dass ein gewisser Herr Murphy immer und immer wieder recht behielt. Alles, was schiefgehen konnte, ging todsicher irgendwann schief.
»In der Nacht auf Sonntag ist ein Student in den Neckar gefallen«, berichtete Sönnchen aufgeräumt. »Seine Kumpels wollten ein Foto machen, wie er den heiligen Nepomuk auf den Mund küsst, und dabei ist er reingefallen und um ein Haar ertrunken.«
»Wo wir schon beim Thema Pechvogel sind: Nachher schicken Sie mir bitte den Kollegen Runkel vorbei. Mit dem habe ich ein paar Hühnchen zu rupfen.«
»Wegen dieser Geschichte am Samstag?«
Rolf Runkel war ein älterer Untergebener, mit dem es immer wieder Ärger gab, weil er Aufgaben vermasselte, Dinge verlegte oder auch einfach vergaß. Beim Frühstück heute Morgen hatte mir die Meldung gleich auf der ersten Seite entgegengegrinst: »Polizei im Pech – Kellertürenbande immer noch auf freiem Fuß.«
Die sogenannte Kellertürenbande machte mir schon seit Wochen Kopfzerbrechen. Im Herbst hatte eine unregelmäßige Serie von Einbrüchen begonnen. Das Muster war immer dasselbe: Sie kamen zu zweit oder zu dritt, wählten alleinstehende Häuser in wohlhabenden Vierteln aus, die über keine Alarmanlage verfügten und deren Grundstücke von der Nachbarschaft schlecht einsehbar waren. Dort brachen sie meist eine von außen zugängliche Kellertür auf, drangen im Inneren in die oberen Stockwerke vor, durchsuchten systematisch Schubladen und Schränke. Immer beschränkte sich ihre Beute auf einige wenige kostbare Dinge. Und anschließend verschwanden sie so unbemerkt, wie sie gekommen waren. Ihre bevorzugte Arbeitszeit war nachts, nachdem auch die letzten Hundebesitzer und Partyschwärmer im Bett lagen. Es gab Hinweise, dass die Täter jung waren und sportlich, dass sie intelligent waren und immer im Auto vorfuhren. Aber schon bei der Marke des Autos widersprachen sich die wenigen Zeugenaussagen, die ich bisher hatte. Als es über die Monate immer schlimmer wurde, hatte ich mir zusammen mit dem Leiter unserer Polizeidirektion, Dr. Egon Liebekind, einige Maßnahmen überlegt, von denen wir hofften, dass sie auf die Bevölkerung beruhigend wirken würden. Seitdem fuhren zivile und uniformierte Streifen regelmäßig gefährdete Orte und Stadtteile ab, um der Bevölkerung zu signalisieren, dass die Polizei ihre Sorgen ernst nahm.
In der Nacht auf Sonntag war Rolf Runkel zusammen mit einem jungen Kollegen in Plankstadt unterwegs gewesen, einem Ort westlich der Autobahn A5, nur wenige Kilometer
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