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Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache

Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache

Titel: Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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geraten.« Vorsichtig öffnete Marlon die Tür und musste sofort die Augen zusammenkneifen, als ihm das helle Licht der Deckenbeleuchtung in die Augen fiel.
    »Restlicht runter«, hörte er, »haben kein Bild.«
    »Restlicht ist runter«
    »Bild steht.«
    »Bestätigt.«
    »Da ist ja die Ratte!«
    Das Gewirr aus dem Funkverkehr und das laute Kreischen, Juchzen und Schreien der annähernd fünfzig Kinder irritierte Marlon für einen Moment. Jungen und Mädchen tobten ausgelassen durch den stickigen Raum, der nur für die Hälfte der Kinder ausgelegt war und aus allen Nähten zu platzen schien, bevölkerten die Puppenstube und die Leseecke, kneteten an den Tischen oder saßen auf dem Fußboden, der von Spielsachen übersät war. Die Schallkulisse war ebenso überwältigend wie das von Körperausdünstungen angereicherte feuchtwarme Klima. Mit schweißnassem Haar, roten Wangen und kalkweißem Gesicht saß eine der Erzieherinnen auf dem Sofa und spielte auf der Gitarre. Davor hockten einige Kinder auf einem Teppich, der mit Straßen und Verkehrszeichen bedruckt war. Aus weit aufgerissenen Augen sah sie Marlon an. Die beiden anderen Erzieherinnen spielten mit den Kindern, die ältere von beiden hielt ein Taschentuch in der Hand, mit dem sie sich immer wieder den rechten Augenwinkel rieb. Auch sie blickten zu Marlon, der nun nur noch Augen für den Mann hatte, der inmitten des Raumes auf einem Kinderstuhl saß, Indianerschmuck trug und eine nackte Barbie in Händen hielt. Auf seinem Schoß lag ein Funkgerät.
    Roth sah weder aus wie ein Ungeheuer noch wie ein Irrer. Er hatte eher etwas von einem Mathe- und Computerfreak. Ein Außenseiter. Die schwarzen Haare waren kurz geschnitten, und er trug einen schmalen Oberlippenbart. Das bedruckte schwarze Hemd hing aus seiner verwaschenen Jeans und schien ein paar Nummern zu groß zu sein. Er war hager, bleich, und an dem schmalen Handgelenk glänzte eine riesige Multifunktionsuhr mit zahlreichen Knöpfen.
    Als Roth Marlon entdeckte, huschte ein Lächeln über seine Lippen. Er gab die Barbie einem kleinen Mädchen mit wuscheligem Lockenkopf, setzte den Federschmuck ab und stand auf. »Hallo, Herr Kraft«, rief er und winkte ihm zu. Er klang, als steckte er noch im Stimmbruch, und seine Hand lag kraftlos wie eine tote Schlange in Marlons. »Freut mich sehr«, fügte er hinzu, den Kinderlärm mit einiger Anstrengung übertönend. »Es ist gut, dass wir uns endlich kennenlernen. Ich bin mir sicher, dass Sie den Ernst der Lage begreifen, wenn Sie das hier gesehen haben.«
    Begreifst DU den Ernst der Lage?
    Roth lächelte, und jetzt wusste Marlon, was ihn an dem Mann irritierte. Seine Augen. Sie waren so leer wie sein Lächeln. Ohne jeden Ausdruck. Sie hätten aus Glas sein können. Roth griff mit der rechten Hand hinter sich, um etwas aus dem Hosenbund zu ziehen. Eine Geste, die nicht unbemerkt blieb und Marlon einen Schritt zurücktreten ließ.
    »Achtung!«
    »Vielleicht greift er nach einer Waffe.«
    »Vorsicht, Kraft!«
    »… haben immer noch keine Sicht …«
    Die Stimmen im Kopfhörer überschlugen sich, um sofort wieder zu verschwinden, als Roth ein sorgfältig zusammengefaltetes Dokument aus der Hosentasche zog und Marlon reichte. Er lachte. »Haben
Sie
einen Schreck bekommen? Oder haben
die
einen Schreck bekommen?«
    Marlon zuckte mit den Achseln und griff nach dem Zettel. Er wirkte wie feines Büttenpapier.
    »Wundert mich nicht«, sagte Roth, dessen Dauergrinsen an Marlons Nerven zerrte. »Ich werde schon seit Jahren überwacht. Sie versuchen, meine Gedanken zu stören. Mikrowellen. UV -Strahlung. Ich wundere mich über nichts mehr. Aber Sie kennen die ja.« Er trat einen Schritt näher. »Sie kennen die. Sie haben keine Angst. Ich lese Ihre Artikel. Und ich lese auch alles zwischen den Zeilen, Herr Kraft. Sie sind sehr geschickt. Aber ich verstehe alles. Ihre Botschaften kommen an.«
    »N-natürlich. D-danke«, stammelte Marlon und fragte sich, was um Gottes willen Roth da faselte. Aber er nahm an, dass es besser sein würde, auf ihn einzugehen. Dann überflog er den Zettel. Wirres Zeug über Manipulationen beim Lotto zur Finanzierung geheimdienstlicher Aktivitäten. Marlon sah auf die Uhr. Zwanzig vor zwölf. Es blieb nicht mehr viel Zeit.
    »Verstehen Sie meine Theorie?«, fragte Roth und legte den Kopf schief.
    Marlon nickte und log: »Natürlich. Wenn das stimmt, dann ist das eine Sensation.«
    Roth strahlte ihn an. »Mit meinem eigenen Geld haben die es finanziert,

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