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Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache

Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache

Titel: Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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    1 .
    E s herrschte Chaos, und nichts Geringeres hatte dieser heiße Vormittag verdient. Lediglich direkt an der Absperrung vor dem Flachdachgebäude des Kindergartens war es still, nachdem die Hubschrauber gelandet waren. Jetzt standen sie drüben auf dem geräumten Parkplatz des Supermarkts und sahen aus wie dicke Fliegen, die es sich in der Sonne auf dem heißen Asphalt bequem gemacht hatten.
    SEK
,
dachte er, presste sich das Handy ans Ohr und klemmte sich den Notizblock unter die Achsel, um die Hand für eine Zigarette frei zu haben.
    »Marlon hier«, murmelte er, als sich Sandra aus der Redaktion meldete. Vor seinem geistigen Auge sah er sie im knappen Tanktop und den schwarzen Edel-Flipflops vor dem iMac schwitzen, weil die Klimaanlage vorgestern ausgefallen und immer noch kein Technikteam erschienen war. Die Netzwerk-Administratoren machten sich fast in die Hosen, weil der Serverraum zunehmend einem Backofen glich.
    »Wie ist die Lage?«, fragte sie mit ihrer rauchigen und immer etwas gelangweilt klingenden Stimme.
    Gute Frage. Blaulicht, so weit das Auge reichte. Krankenwagen und Sanitäter in leuchtend roten Overalls. Ein Ambulanzzelt im Aufbau. Überall liefen Polizisten in Uniform mit Funkgeräten und zivile Beamte mit Headsets oder Handys wie aufgeschreckte Ameisen durch die Gegend. Dazwischen die dunkelgrünen VW -Bullis vom Grenzschutz. Die Mitglieder der mobilen Einsatzgruppe sahen in ihren Kevlarrüstungen aus wie dunkelgrün lackierte »Star-Wars«-Sturmtruppen. Sie tranken literweise Mineralwasser. Der Getränkemarkt hatte ein paar Kisten spendiert. Minütlich trafen neue Nachrichtenteams ein. Marlon sah Leute von der BILD und den Lokalradios. Natürlich auch die freiberuflichen Hyänen, die in ihren mit Polizeifunk-Scannern und GPS -Systemen ausgebauten 500 er BMW s angerollt waren. Private TV -Teams fuchtelten mit Mikrofonen herum, auf denen die Logos von N- TV , RTL oder Pro 7 standen. Mit Akkus bepackte Kameramänner suchten sich ihren Weg durch die Journalistentrauben, die sich rund um offizielle Interviewpartner, an der Absperrung zum Kindergarten und weiter hinten bei den Schaulustigen gebildet hatten. Die ebenfalls umlagerten Angehörigen glichen Figuren aus den Gemälden Edvard Munchs: verloren, benommen, fassungslos. In dem Gewirr aus Stimmen, Anordnungen, Kommentaren, Fragen und Flüchen war keinerlei Koordination und Struktur zu erkennen.
    »Wie die Lage ist, kann ich dir verraten«, sagte Marlon zu Sandra und versuchte, das Handy fest genug zwischen Ohr und Schulter einzuklemmen, um sich die Marlboro anzuzünden. »Weltuntergang trifft es wohl am ehesten.« Das Nokia rutschte immer wieder weg. Verdammte Hitze. Kein Lufthauch regte sich. Die Julisonne brannte ihm heiß auf den Schädel mit dem kurzrasierten blonden Haar. Schweiß lief ihm in Bächen von der gebräunten Stirn herab, verfing sich in den verästelten Lachfalten seiner zu Schlitzen zusammengekniffenen Augen und glitzerte in kleinen Perlen zwischen den Bartstoppeln.
    »Gibt es schon Tote? Irgendeine Entwicklung?«
    »Nein«, antwortete Marlon und zog, als sie endlich brannte, tief an der Zigarette.
    Auf dem Dach des Supermarkts blitzte für einen kurzen Moment etwas auf. Zwei Männer in Schwarz liefen geduckt von links nach rechts. Wahrscheinlich war es die Reflexion eines Zielfernrohrs gewesen.
    »Der Typ ist ein Psycho. Schieb alles und halt mir in jedem Fall die halbe Titelseite offen. Vielleicht brauche ich noch Unterstützung, um ein paar Stimmen einzufangen, und eventuell muss Micha Klinken putzen gehen für Privatfotos. Er soll sich nichts anderes vornehmen.«
    »Habt ihr schon Bilder? Weltwirtschaftsgipfel und Landtagswahlen müssen noch mit rein, du weißt ja, dass …«, sagte Sandra, aber Marlon fiel ihr ins Wort.
    »Keine Ahnung, besprich das mit Roloff, was weiß ich.« Er hatte andere Dinge im Kopf. Er war Polizeireporter. Außerdem war es gerade mal zehn nach elf. An diesem Tag konnte noch alles Mögliche passieren, das auf der Titelseite der
Neuen Westfalenpost
untergebracht werden musste. Tsunamis, Tornados, Attentate – die Welt war jeden Tag für Überraschungen gut. Aber das hier war besser als alle anderen Möglichkeiten, denn es passierte vor der Haustür und nicht im Kongo oder in einer amerikanischen Kleinstadt. Das hier war greifbar. Es war wie Kokain für Marlon, und es würde Opium fürs Volk sein. Er konnte es Sandra nicht verübeln, dass ihr das nicht klar war. Sie war noch jung und

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