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Algebra der Nacht

Algebra der Nacht

Titel: Algebra der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Bayard
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worum handelt es sich?«, fragte ich. »Um einen Vertrag? Eine Rechnung?«
    »Es geht um einen Brief, sonst nichts.«
    »Wer war der Empfänger?«
    »Das ist ungewiss. Nur das zweite Blatt ist erhalten.«
    »Also gut, wer ist der Verfasser ?«
    Styles schwieg erst einmal. Nur ein leichtes Zittern seiner Hände tat kund, dass er die Frage überhaupt gehört hatte. Schließlich drehte er sich mit einem Lächeln, breit wie sein ganzes Gesicht, zu mir herum.
    »Großer Gott«, flüsterte ich. »Ralegh.«
    »Genau der!«, sagte er und klatschte begeistert in die Hände. »Und stellen Sie sich vor. Vor neun Monaten ist der Brief überhaupt erst aufgetaucht. Eine Anwaltskanzlei in der Gray's Inn Road räumte ihr Archiv aus – Sie wissen ja selbst, was sich da über die Jahrhunderte ansammeln kann. Irgendwie war mein guter Ruf bis dorthin vorgedrungen, und man bat mich, die Sachen zu bewerten und ihnen eventuell ein Angebot dafür zu machen. Natürlich hatten sie keinen Schimmer, was sie da besaßen, also konnte ich den Brief für einen recht akzeptablen Betrag erwerben.«
    Seine Zufriedenheit war nicht zu überhören. Manche Sammler verschwenden ihr Geld, als wäre es Luft – Alonzo war so einer. Andere sind sparsam bis zum letzten Atom.
    »Mr. Styles«, sagte ich. »Sie werden mir verzeihen, aber ich habe gelernt, jedem Dokument zu misstrauen, auf dem Raleghs Name steht.«
    »An Ihrer Stelle würde ich nichts anderes sagen. In diesem Fall kann ich Ihnen versichern, dass es authentisch ist.«
    »Und können Sie mir auch versichern, dass Alonzo es genommen hat?«
    »Oh, ja.« Er neigte sein Silberhaupt. »Er hat seine Spuren wunderbar verwischt, das muss ich ihm lassen. Mehrere Wochen lang wussten wir nicht einmal, dass es verschwunden war. Und als wir den untergeschobenen Ersatz entdeckt hatten, mussten wir sehr tief im Archiv unserer Überwachungsvideos graben, ehe wir den Beweis fanden.« Er lächelte. »Eine so charakteristische Gestalt wie Alonzo ist selbst auf einem körnigen Überwachungsvideo unverwechselbar.«
    »Aber es sind doch auch andere Ralegh-Briefe in Umlauf. Warum sollte Alonzo sich die Mühe machen, gerade diesen zu stehlen?«
    »Ich möchte meinen, der Inhalt dieses speziellen Briefs hat es ihm angetan.«
    Styles ließ das ein Weilchen einwirken und schlug sich dann in gespielter Verblüffung an die Stirn.
    »Oh, das hatte ich ganz vergessen! Ich kann Ihnen ja eine Kopie zeigen.«
    Ein lässiges Fingerschnipsen, und schon stand Halldor neben uns, ein Blatt Papier in der einen, eine Taschenlampe in der anderen Hand.
    »Wir haben das Dokument digitalisieren lassen. Ich nehme an, Mr. Cavendish, es macht Ihnen nichts aus, es selbst zu lesen?«
    »Durchaus nicht.«
    »Dann, bitte sehr«, sagte Bernard Styles und faltete das Blatt auseinander.
    Es war vollkommen still im Theater, und doch drang alles
auf mich ein wie lauter Lärm. Halldor, groß wie eine hochgewachsene Pappel. Styles, der aufmunternd nickte. Meine Hand im Lichtkegel der Taschenlampe. Die Worte selbst, die sich ins Papier schienen, während ich las.
     
    Er wäre nicht der erste Liebhaber, dem Kit so mitspielte, welcher doch Heiß und Kalt entbrannte in nur einem Atemzug und Beweise für den Teufel oder für unsern Heiland vorbrachte, je nachdem, wohin der Wind ihn trug. Zu vielen Malen litt Chapman großen Kummer über manche Ketzerey, nur um stets versichert zu werden, dass Kit nur im Schertze sprach, wie er es zu tun pflog.
    Ihr werdet verzeihen, denck ich, dass ich in dieser Weise zu Euch spreche. Ich wüsste keinen bessern Balsam für meine Wunden als die Erinnerung. In schweren Zeiten gewährt es große Freude, unsrer traulichen Schule zu gedencken, woselbst wir uns so frohgemuth versammleten und Euer schützender Genius jeden Stern überstrahlte.
     
    Ich entbiete meine besten Wünsche und verbleibe
     
    Und noch ehe ich zum Schluss gelangt war, erblickte ich die allzu vertraute Unterschrift.
     
    Euer getreuer Freund und unterthäniger Diener,
     
    W Rawley
    Derum House
    den 27 Merz
     
    »Walter Ralegh«, sagte ich matt.
    Ich sah auf. Die Augen des alten Mannes glitzerten im Halbdunkel wie Fischschuppen.
    »Oh, es ist noch viel mehr als das, Mr. Cavendish. Es ist das, wonach Sie und Alonzo Ihr Leben lang gesucht haben.«
    »Ach, na ja, was das betrifft …«
    »Mein Lieber, Sie brauchen sich mir gegenüber nicht so auf
zuführen. Ich habe Ihnen soeben den endgültigen Beweis geliefert, dass die Schule der Nacht tatsächlich existiert

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