Alice at Wonderland
klingelt. Es ist Delilah. Sie sei krank und könne heute nicht kommen. Sie sei beim Arzt, der seine Praxis den Hintergrundgeräuschen nach zu urteilen in einem Einkaufszentrum hat. Genau für diese Fälle habe ich ihr auch das Handy geschenkt. Ihre wortreiche Entschul digung dauert eine halbe Stunde, bis ich sie endlich davon überzeugt habe, dass ich kein Tagalog verstehe, auch wenn es mit den Worten »gut«, »groß«, »schlecht« und »Arzt« durchsetzt ist. Nachdem ich ihr ungefähr hundertmal ver sichert habe, dass sie ja nichts für die ganze Sache kann, beruhigt sie sich schließlich. Die gute Seele - wenn sich doch nur alle so um mich sorgen würden!
Gerührt tapere ich in mein blitzendes Badezimmer und beginne ein ausgiebiges Rundumverschönerungsprogramm. Später stelle ich mich, gestärkt von Delilahs Mittagessen, erfolgreich dem Kampf mit dem Kleiderschrank.
Um kurz nach drei mache mich auf den Weg. Ein bisschen aufgeregt, aber eigentlich ganz entspannt, denn schließlich habe ich nichts, aber auch gar nichts dem Zu fall überlassen. Ich habe Alex ausgeredet, dass wir uns ein zweites Mal im Cafe Viola verabreden. Ich halte nichts von bösen Omen und dergleichen, aber diesen Laden betrete ich erst wieder, nachdem ihm jemand in einer aufwendigen VoodooZeremonie seine schlechten Schwingungen ausgetrieben hat. Oder die lahmarschigen Kellnerinnen. Dann werde ich dieses Mal fünfzehn Minuten zu spät kommen. Nie wieder setze ich mich dieser
Kommt-er-kommt-er-nicht-Gefühlsachterbahn aus. Und schließlich habe ich mich von Ruth noch zu einer Art spiritistischer Sitzung überreden lassen, um, wie sie sagte, meine Mitte zu finden. War ein bisschen schwierig in dem Sandelholz verräucherten Zimmer, und ich bin auch nicht ganz sicher, ob das, was wir gefunden haben, meine Mitte ist. Wenn ja, ist sie länglich, besteht aus Bronze, und man kann eine Kerze hineinstecken. Trotzdem fühle ich mich derart relaxt, dass ich nicht mal mit der Wimper zucken werde, sollte sich Alex als einbeiniger kaukasischer Schafhirte mit Glatze und Hörfehler herausstellen. Selbst in der Kla mottenfrage geh ich auf Nummer sicher. Ich habe mich als lady in black angekündigt. Entweder das Date klappt und das Outfit passt hervorragend zu einem abgerundeten Abend in einer Cocktail-Bar. Oder aber für den Friedhof, um meine Träume zu begraben, falls sich Alex tatsächlich als schwerhöriger kaukasischer Glatzkopf herausstellen sollte.
Als Treffpunkt habe ich das Alte Operncafe vorgeschla gen. Das klingt jetzt nur so, als ob sich hier betuchte Mitt fünfziger nach einem Philharmonie-Besuch ihr lexikales Halbwissen über Strawinsky um die Ohren schlagen. In Wirklichkeit liegt das Cafe nicht mal in der Nähe der Oper. Es ist ein ziemlich großes, fast hundert Jahre altes Gründerzeit-Cafe mit herrlich beruhigender Atmosphäre, in dem ausschließlich klassische Musik gespielt wird, da her der Name. Und in dem so mancher erstaunt festgestellt hat, dass in den letzten zweihundertfünfzig Jahren tatsächlich noch etwas mehr komponiert wurde als die »Ungarischen Tänze« und Vivaldis »Vier Jahreszeiten«. Das Alte Operncafe verfügt über den seltenen Vorzug windhundschneller Kellnerinnen, die entweder freundlich sind oder, wenn nicht, wenigstens so tun, als ob. Damit ist es einer der wenigen Orte in der Stadt, an denen sich die Angestellten nicht darüber ärgern, dass sie Geld verdie nen. Man kommt aus zwei Gründen her: eine entspannen de Stunde zu verbringen, ohne angequatscht zu werden, oder diskrete Treffen abzuhalten, mit der vollen Absicht, angequatscht zu werden. Das Stadtmagazin hat in einer schon etwas zurückliegenden Ausgabe die Treffs der Stadt einem Test unterzogen und Noten verteilt hinsichtlich des so genannten Flirtfaktors. Wobei Null die Grenze zum Scheintod markiert und Zehn die Bestnote darstellt, die nur zwei Swingerclubs bekommen haben. Das Alte Operncafe wurde in dieser Untersuchung als »Treffpunkt für Verliebte« bezeichnet, was Flirtfaktortechnisch noch unter Null rangiert. Seitdem kommen keine Singles mehr und man hat seine Ruhe. Weil das Cafe sehr verwinkelt gebaut ist und außerdem mehr Säulen hat als die Akropolis, wäre das »Checken der Lage« ohnehin sehr schwierig, es sei denn, man scharwenzelt wie ein Blöder die ganze Zeit zwischen den Tischen hindurch. Das erscheint mir als Angehöriger der Diskrete-Treffen-Abteilung der an gemessene Ort.
Ich bin mir nicht ganz klar darüber, was für eine Art Treffen,
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