Alice im Wunderland
Mitt sein mag,« sagte die falsche Schildkröte, »aber da du sie so oft gesehen hast, so weißt du natürlich, wie sie aussehen?«
»Ja ich glaube,« sagte Alice nachdenklich, »sie haben den Schwanz im Maule, – und sind ganz mit geriebener Semmel bestreut.«
»Die geriebene Semmel ist ein Irrthum,« sagte die falsche Schildkröte; »sie würde in der See bald abgespült werden. Aber den Schwanz haben sie im Maule, und der Grund ist« – hier gähnte die falsche Schildkröte und machte die Augen zu. – »Sage ihr Alles das von dem Grunde,« sprach sie zum Greifen.
»Der Grund ist,« sagte der Greif, »daß sie durchaus im Hummerballet mittanzen wollten. So wurden sie denn in die See hinein geworfen. So mußten sie denn sehr weit fallen. So kamen ihnen denn die Schwänze in die Mäuler. So konnten sie sie denn nicht wieder heraus bekommen. So ist es.«
»Danke dir,« sagte Alice, »es ist sehr interessant. Ich habe nie so viel vom Weißfisch zu hören bekommen.«
»Ich kann dir noch mehr über ihn sagen, wenn du willst,« sagte der Greif, »weißt du, warum er Weißfisch heißt?«
»Ich habe darüber noch nicht nachgedacht,« sagte Alice. »Warum?«
»Darum eben,« sagte der Greif mit tiefer, feierlicher Stimme, »weil man so wenig von ihm weiß. Nun aber mußt du uns auch etwas von deinen Abenteuern erzählen.«
»Ich könnte euch meine Erlebnisse von heute früh an erzählen,« sagte Alice verschämt, »aber bis gestern zurück zu gehen, wäre ganz unnütz, weil ich da jemand Anderes war.«
»Erkläre das deutlich,« sagte die falsche Schildkröte.
»Nein, die Erlebnisse erst,« sagte der Greif in ungeduldigem Tone, »Erklärungen nehmen so schrecklich viel Zeit fort.«
Alice fing also an, ihnen ihre Abenteuer von da an zu erzählen, wo sie das weiße Kaninchen zuerst gesehen hatte. Im Anfange war sie etwas ängstlich, die beiden Thiere kamen ihr so nah, eins auf jeder Seite, und sperrten Augen und Mund so weit auf; aber nach und nach wurde sie dreister. Ihre Zuhörer waren ganz ruhig, bis sie an die Stelle kam, wo sie der Raupe ›Ihr seid alt, Vater Martin‹ hergesagt hatte, und wo lauter andere Worte gekommen waren, da holt die falsche Schildkröte tief Athem und sagte »das ist sehr merkwürdig.«
»Es ist Alles so merkwürdig, wie nur möglich,« sagte der Greif.
»Es kam ganz verschieden!« wiederholte die falsche Schildkröte gedankenvoll. »Ich möchte sie wohl etwas hersagen hören. Sage ihr, daß sie anfangen soll.« Sie sah den Greifen an, als ob sie dächte, daß er einigen Einfluß auf Alice habe.
»Steh' auf und sage her: ›Preisend mit viel schönen Reden‹,« sagte der Greif.
»Wie die Geschöpfe alle Einen kommandiren und Gedichte aufsagen lassen!« dachte Alice, »dafür könnte ich auch lieber gleich in der Schule sein.« Sie stand jedoch auf und fing an, das Gedicht herzusagen; aber ihr Kopf war so voll von dem Hummerballet, daß sie kaum wußte, was sie sagte, und die Worte kamen sehr sonderbar: –
»Preisend mit viel schönen Kniffen seiner Scheeren Werth und Zahl,
Stand der Hummer vor dem Spiegel in der schönen rothen Schal'!
›Herrlich,‹ sprach der Fürst der Krebse, ›steht mir dieser lange Bart!‹
Rückt die Füße mit der Nase auswärts, als er dieses sagt.«
»Das ist anders, als ich's als Kind gesagt habe,« sagte der Greif.
»Ich habe es zwar noch niemals gehört,« sagte die falsche Schildkröte; »aber es klingt wie blühender Unsinn.«
Alice erwiederte nichts; sie setzte sich, bedeckte das Gesicht mit beiden Händen und überlegte, ob wohl je wieder irgend etwas natürlich sein würde.
»Ich möchte es gern erklärt haben,« sagte die falsche Schildkröte.
»Sie kann's nicht erklären,« warf der Greif schnell ein. »Sage den nächsten Vers.«
»Aber das von den Füßen?« fragte die falsche Schildkröte wieder. »Wie kann er sie mit der Nase auswärts rücken?«
»Es ist die erste Position bei'm Tanzen,« sagte Alice aber sie war über Alles dies entsetzlich verwirrt und hätte am liebsten aufgehört.
»Sage den nächsten Vers!« wiederholte der Greif ungeduldig, »er fängt an: ›Seht mein Land!‹«
Alice wagte nicht, es abzuschlagen, obgleich sie überzeugt war, es würde Alles falsch kommen, sie fuhr also mit zitternder Stimme fort: –
»Seht mein Land und grüne Fluten,« sprach ein fetter Lachs vom Rhein;
»Goldne Schuppen
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