Alice im Wunderland
und sie merkte auch, daß Einer von ihnen nicht wußte, wie es geschrieben wird, und seinen Nachbar fragen mußte. »Die Tafeln werden in einem schönen Zustande sein, wenn das Verhör vorüber ist!« dachte Alice.
Einer der Geschwornen hatte einen Tafelstein, der quiekste. Das konnte Alice natürlich nicht aushalten, sie ging auf die andere Seite des Saales, gelangte dicht hinter ihn und fand sehr bald eine Gelegenheit, den Tafelstein fortzunehmen. Sie hatte es so schnell gethan, daß der arme kleine Geschworne (es war Wabbel) durchaus nicht begreifen konnte, wo sein Griffel hingekommen war; nachdem er ihn also überall gesucht hatte, mußte er sich endlich entschließen, mit einem Finger zu schreiben, und das war von sehr geringem Nutzen, da es keine Spuren auf der Tafel zurückließ.
»Herold, verlies die Anklage!« sagte der König.
Da blies das weiße Kaninchen drei Mal in die Trompete, entfaltete darauf die Pergamentrolle und las wie folgt: –
»Coeur-Königin, sie buk Kuchen,
Juchheisasah, juchhe!
Coeur-Bube kam, die Kuchen nahm.
Wo sind sie nun? O weh!«
»Gebt euer Urtheil ab!« sprach der König zu den Geschwornen.
»Noch nicht, noch nicht!« unterbrach ihn das Kaninchen schnell. »Da kommt noch Vielerlei erst.«
»Laßt den ersten Zeugen eintreten!« sagte der König, worauf das Kaninchen drei Mal in die Trompete blies und ausrief: »Erster Zeuge!«
Der erste Zeuge war der Hutmacher. Er kam herein, eine Tasse in der Hand und in der andern ein Stück Butterbrot haltend. »Ich bitte um Verzeihung, Eure Majestät, daß ich das mitbringe; aber ich war nicht ganz fertig mit meinem Thee, als nach mir geschickt wurde.«
»Du hättest aber damit fertig sein sollen,« sagte der König. »Wann hast du damit angefangen?«
Der Hutmacher sah den Faselhasen an, der ihm in den Gerichtssaal gefolgt war, Arm in Arm mit dem Murmelthier. »Vierzehnten März, glaube ich war es,« sagte er.
»Funfzehnten,« sagte der Faselhase.
»Sechzehnten,« fügte das Murmelthier hinzu.
»Nehmt das zu Protokoll,« sagte der König zu den Geschwornen, und die Geschwornen schrieben eifrig die drei Daten auf ihre Tafeln, addirten sie dann und machten die Summe zu Groschen und Pfennigen.
»Nimm deinen Hut ab,« sagte der König zum Hutmacher.
»Es ist nicht meiner,« sagte der Hutmacher.
»Gestohlen!« rief der König zu den Geschwornen gewendet aus, welche sogleich die Thatsache notierten.
»Ich halte sie zum Verkauf,« fügte der Hutmacher als Erklärung hinzu, »ich habe keinen eigenen. Ich bin ein Hutmacher.«
Da setzte sich die Königin die Brille auf und fing an, den Hutmacher scharf zu beobachten, was ihn sehr blaß und unruhig machte.
»Gieb du deine Aussage,« sprach der König, »und sei nicht ängstlich, oder ich lasse dich auf der Stelle hängen.«
Dies beruhigte den Zeugen augenscheinlich nicht; er stand abwechselnd auf dem linken und rechten Fuße, sah die Königin mit großem Unbehagen an, und in seiner Befangenheit biß er ein großes Stück aus seiner Theetasse statt aus seinem Butterbrot.
Gerade in diesem Augenblick spürte Alice eine seltsame Empfindung, die sie sich durchaus nicht erklären konnte, bis sie endlich merkte, was es war: sie fing wieder an zu wachsen, und sie wollte sogleich aufstehen und den Gerichtshof verlassen; aber nach weiterer Ueberlegung beschloß sie zu bleiben, wo sie war, so lange sie Platz genug hatte.
»Du brauchtest mich wirklich nicht so zu drängen,« sagte das Murmelthier, welches neben ihr saß. »Ich kann kaum athmen.«
»Ich kann nicht dafür,« sagte Alice bescheiden, »ich wachse.«
»Du hast kein Recht dazu, hier zu wachsen,« sagte das Murmelthier.
»Rede nicht solchen Unsinn,« sagte Alice dreister; »Du weißt recht gut, daß du auch wächst.«
»Ja, aber ich wachse in vernünftigem Maßstabe,« sagte das Murmelthier, »nicht auf so lächerliche Art.« Dabei stand es verdrießlich auf und ging an die andere Seite des Saales.
Die ganze Zeit über hatte die Königin unablässig den Hutmacher angestarrt, und gerade als das Murmelthier durch den Saal ging, sprach sie zu einem der Gerichtsbeamten: »Bringe mir die Liste der Sänger im letzten Concerte!« Worauf der unglückliche Hutmacher so zitterte, daß ihm beide Schuhe abflogen.
»Gieb deine Aussage,« wiederholte der König ärgerlich, »oder ich werde dich hinrichten lassen, ob du dich
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