Alicia - Gefaehrtin der Nacht
herausquellenden Eingeweiden glitschigen Boden. Einmal glitt er beinahe aus, dann fing er sich wieder. Zwei Nobilat, deren nackte Körper rot glänzten, führten ihn die Treppe hinauf. Der eine bot Laurean einen faustgroßen Gesteinssplitter an, doch der schüttelte den Kopf. Nein, der Fürst der Salizaren würde kein Hilfsmittel benötigen.
«Bruder», sagte er. «Du hast nun die letzte Gelegenheit, dich als würdiger Salizar zu erweisen. Sage mir, wo Alesh sich aufhält, dann will ich dir einen schmerzfreien Tod gewähren!»
Desan verzog keine Miene, stattdessen starrte er Laurean herausfordernd an. Schließlich wandte er in einer blitzschnellen Bewegung den Kopf und spie in meine Richtung. Ein Klumpen rotgrünen Schleims landete auf meiner rechten Brust. Ich hätte gern die Zähne gefletscht und mich auf ihn gestürzt, doch es war noch zu früh. Ich spürte bereits das vertraute Reißen im Zahnfleisch, das sich jeden Tag mit Anbruch der Dämmerung ankündigte. Noch niemals zuvor war mir das Hervorbrechen der Reißzähne so willkommen gewesen, denn mehr als alles andere sehnte ich mich jetzt danach, mich auf den Verräter zu stürzen. Ich würde ihn erneut zu Boden werfen und mich in seinen Hals verbeißen, doch dieses Mal würde ich ihn leerbluten lassen, bis er schon ganz kraftlos, aber noch bei Bewusstsein war, dann würde ich ihm das Geschlecht entreißen und es dem einzigen wahren Fürsten der Salizaren zu Füßen legen!
«Schmerzfrei? Bin ich ein Mensch oder ein Salizar? Bin ich nicht ebenso ein Abkömmling der Blutgöttin wie du? Wenn du mich töten willst, töte mich, Bruder, ich fürchte keinen Schmerz!»
« Desan, du bist weder Mensch noch Salizar, denn du hast das Recht, dich zu unserem Stamm zu zählen, längst verwirkt. Du verbündest dich mit jedem, der dir einen Vorteil verspricht, egal ob es die feigen Morganthen oder die Mönche sind. Das ist eines Salizaren unwürdig! Wenn wir vor dem Kampf nicht jeden Tropfen Blut bräuchten, dann würde ich dich nicht einmal anrühren, Bruder.»
D as letzte Wort stieß Laurean mit solcher Verachtung hervor, dass Desan kurz zurückzuckte, doch er hatte sich schnell gefangen und nahm erneut seine versteinerte Haltung ein. Vielleicht verspürte er wirklich keine Angst vor seinem bevorstehenden Tod, denn da die Salizaren normalerweise nicht starben, existierte in der Kultur dieser Gemeinschaft keine Furcht vor dem Sterben. Dennoch hatte ich gesehen, wie die Opfer, deren Blutgeruch noch schwer in der Luft hing, sich erbittert und verzweifelt gewehrt hatten, vergeblich natürlich, wie jede Kreatur, die spürt, dass sie ausgelöscht werden soll.
In diesem Moment erkannte ich noch einmal deutlich, dass Laurean und Desan Brüder waren, von Androlus gezeugt und in Gesers Leib getragen. Sie standen einander mit der gleichen stolzen Haltung gegenüber, die Gesichter so ähnlich, dass man hätte meinen können, das eine spiegelte sich in dem anderen, und dennoch war aus Laurean ein Fürst geworden, der seinem Stamm bis zum letzten Atemzug diente, Desan dagegen ein feiger Verräter bis zum Ende.
«Ich frage dich zum letzten Mal», stieß Laurean hervor. «Wo ist Alesh?»
«Du meinst … Frater Alesh? Den die Menschenhure in ihrem Leib getragen hat? Ja, du hörst ganz richtig, Alesh ist Frater geworden, Bruder und zugleich Sklave der Mönche. Sie haben ihm schon früh die Reißzähne gezogen und ihn in dem Wissen großgezogen, dass du es gewesen bist, der ihn dem Orden ausgeliefert hat. Ha! Nun rate, wen Alesh am meisten hasst auf dieser Welt?»
Während Desan noch sprach, spreizten sich meine Finger zu einer Kralle. Ein gutes, willkommenes Zeichen, dass mein Körper sich auf die Nacht einrichtete. Ich hob einen Finger, legte ihn auf meinen Unterarm und ritzte mit dem Nagel eine feine, rote Linie in die Haut. Dann leckte ich den ersten Tropfen ab. Der Geschmack des Blutes würde die Verwandlung beschleunigen und die Reißzähne schneller herausfahren lassen. Ich knurrte ungeduldig und dann geschah alles auf einmal. In dem Moment, als ich mich mit einem gewaltigen Satz auf Desan stürzte, die Zähne noch im Sprung fletschte und im Augenblick des Aufpralls tief in seinen Hals grub, ertönten von der Treppe zur Villa die Rufe der Wachposten.
«Sie haben die Tür entdeckt! Sie kommen!»
Ich wusste, dass nun keine Zeit mehr bliebe, um Desans Blut vollständig zu trinken. Es musste schnell gehen. Ich wechselte blitzschnell die Position, nahm seinen Hals zwischen meine
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