Alicia - Gefaehrtin der Nacht
konnten, so musste ich mit Einsetzen der Dämmerung doch einsehen, dass der Kampf verloren war. Schließlich war ich die Letzte unseres Stammes, die, wenn auch durch die schwärende Wunde am Arm gezeichnet, noch stand. Ich verbarg mich im Geäst einer Eiche und suchte das Gelände nach überlebenden Salizaren ab, doch es war vergebens. Währenddessen wanderten die verbliebenen Mönche über das Gelände, sammelten ihre Toten ein und lösten die Überreste meines Volkes in stinkenden Weihwasserwolken auf.
Ich inspizierte die schmerzende Verwundung. Das Weihwasser hatte ein tiefes Loch durch Fleisch und Muskeln gebrannt, sodass ich bis auf den Knochen blicken konnte. Vermutlich hatte ich es nur dem Rest menschlichen Blutes zu verdanken, dass ich nicht wie alle Salizaren jämmerlich daran verendet war. Zum ersten Mal seit meiner Verwandlung war ich vollkommen allein und für einen Moment wünschte ich, dass ich mit meinem Volk gestorben wäre. Dann erinnerte ich mich an den Auftrag, den Laurean mir gegeben hatte. Ich murmelte ein paar heilende Worte und legte das fürstliche Amulett auf die Wunde, die sich augenblicklich schloss. Nur eine rötliche Vernarbung blieb zurück, etwa so groß wie mein Daumennagel. Mit den ersten Sonnenstrahlen verließ ich das Versteck und verschwand lautlos zwischen den Bäumen.
Epilog
Bis zu der Verabredung hatte ich noch etwas Zeit, mehr als eine Stunde. Wie immer wartete ich, bis es dunkel war: Keine Treffen vor zweiundzwanzig Uhr, jedenfalls nicht im Sommer, wie jetzt.
Ich stand verdeckt hinter der Ulme mit dem dicken Stamm, damit das Licht der Straßenlaterne nicht auf mich fiel. Es war mein Stammplatz, sozusagen, denn ich kam beinahe jeden Abend hierher. Irgendwie fühlte ich mich dann nicht so allein, denn das war ich seit jener Nacht, in der die Mönche die Salizaren niedergemetzelt hatten. Ich nahm nicht an, dass einer von ihnen sich ergeben hatte, das würden die Unsrigen niemals tun. Also war ich die Letzte des Stammes und die Fürstin zugleich. Keine Blutfeste mehr, kein Volk, dem ich angehörte, vor allem aber keine Tage und Nächte mehr mit Laurean, meinem Gefährten. Also hatte ich wieder damit angefangen, die Stunden, Tage, Wochen und Monate zu zählen. Ich bewegte mich erneut in der Welt der Menschen, das schien mir das Natürlichste zu sein, schließlich war ich einmal eine der Ihren gewesen, und auch wenn ich mich ihnen nun seltsam fremd fühlte, so war es immer noch besser, als einsam im Wald zu hausen.
Nachdem ich de r Vernichtung entkommen war, hatte ich im Garten eines Vorstadthauses Kleider von einer Wäscheleine gestohlen, damit ich mich unter die Menschen begeben konnte. Nur ein einziges Mal noch hatte ich mich umgewandt. Als ich den Widerschein der lichterloh brennenden Villa ausmachte, wusste ich, dass die Mönche ebenfalls einen Weg gefunden hatten, ihre Anwesenheit an diesem Ort zu verschleiern. In den darauffolgenden Wochen hatten die Medien darüber spekuliert, was die Ursache für den Brand gewesen sein könnte, der die seit Jahren leerstehende Villa bis auf die Grundmauern zerstört hatte. Von einer Entdeckung der darunter befindlichen Gewölbe war nichts zu lesen. Was mochte der Grund dafür sein, fragte ich mich, in wessen Interesse lag diese Nachrichtensperre? Vielleicht reichte der Einfluss der Mönche weiter, als man es von einer im Verborgenen wirkenden Gruppierung angenommen hätte. Ich wusste es nicht und fand es auch niemals heraus.
Hingegen fügte ich mich überraschend schnell wieder in die Menschenwelt ein, als wäre ich niemals fort gewesen. Anstatt des Nachts unbemerkt durch die Straßen zu streifen, bezog ich eine Wohnung, schloss Bekanntschaften und grüßte die Nachbarn. All das eben, was das Leben unter den Menschen ausmachte. Wenngleich meine Haut etwas Farbe angenommen hatte, da ich mich nun auch tagsüber draußen aufhielt, sah ich einer Blutdurstigen immer noch ähnlicher als meinem eigenen früheren Ich. Zum Glück wusste niemand außer den Mönchen um die Besonderheiten unseres Äußeren. Die Menschen fanden mich einfach nur exotisch, sexy und schön. Zur Sicherheit schlug ich einen großen Bogen um alle Männer mit Haarkranz oder Halbglatze.
In kostbaren, viel zu seltenen Momenten spürte ich noch manchmal Laureans Gegenwart, und wenn das geschah, dann war die Empfindung so intensiv, dass ich meinte, mit ihm vereint zu sein, und ich fühlte, dass er wie Alesh und alle Brüder und Schwestern durch meinen Blutkreislauf zog.
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