Alicia II
Ich bedauere es nur. Ich wünschte, ich hätte es nicht getan, ich persönlich. Bei jedem anderen hätte ich vielleicht ein gesunderes Urteil, ich könnte sogar anerkennen, daß er gute Arbeit geleistet hat, aber, beim Teufel, ich wünschte, ich hätte es nicht getan. Sag nichts mehr. Ich will nichts darüber hören, daß es richtig war und daß das Recht vieler vor dem weniger kommt oder daß Rechte abgewogen werden müssen.«
Ben nickte und verfiel in das Schweigen, das ich verlangt hatte. Alicia sagte: »Ich kann nicht an deine Millionen Seelen denken. Ich sehe immerzu die tote Cheryl vor mir. Ich sehe Cheryl, und ich stelle mir Stacy vor. Sie sind die einzigen Toten, die Bedeutung für mich haben. Die anderen …«
Sie beendete ihren Satz nicht. Wir schwiegen alle, bis ich erklärte: »Ich komme mir töricht vor. Ich gebe mir zuviel Mühe, Schmerz zu empfinden, und ich empfinde auch Schmerz, aber er läßt nach. Sorgt einfach dafür, daß ich den Mund halte, oder gebt mir etwas, das mich einzuschlafen zwingt. Daß ich schlafe, ohne zu träumen, kannst du das tun?«
Ben nickte.
Am nächsten Tag untersuchte er mich, ließ das Absorber-Wissen löschen und meinte, mit den Operationen könnten wir jederzeit anfangen. Ich hatte sie ganz vergessen, aber ich sagte, ja, bringen wir es hinter uns. Ben versprach, die notwendigen Vorbereitungen zu treffen.
Er schickte Alicia und mich in ein verlassenes Gebäude, das, wie ich bei unserer Ankunft feststellte, ganz in der Nähe des L’Etre lag. Beinahe hätte ich vorgeschlagen, daß wir uns im Restaurant eine Gourmet-Mahlzeit leisteten, aber dann dachte ich, daß wir sie beide nicht genießen würden.
Im vierten Stockwerk des früheren Bürogebäudes befand sich eine voll möblierte und ziemlich luxuriöse Wohnung. Viele Bilder hingen an den Wänden, die Möbel waren kostbar, im Schlafzimmer stand ein kreisrundes Bett, und das Bad war prunkvoll dekoriert. Ich nahm ein Bad, nur um mir die hornblasenden Kupidos und die Wasserspeier und die hübschen Damen und die Schnörkel ansehen zu können.
Ben kam vorbei und berichtete, er habe alles arrangiert und später würde ich in das geheime Krankenhaus gebracht werden, wo die Operationen zum frühesten ungefährlichen Zeitpunkt stattfinden sollten.
Ich fragte ihn wegen der Wohnung. Er erzählte, vor Jahren habe sie einem zu Geld gekommenen Tellerwäscher gehört.
Irgendwer mit Interesse für die Erhaltung historischer Denkmäler habe gesehen, daß sie noch gut instand war, selbst als das Gebiet als nicht mehr sanierungsfähig erklärt und das Haus verlassen worden war. Ben verließ uns mit der Bemerkung, es seien viele Vorbereitungen zu treffen und er werde wiederkommen, wenn alles fertig sei. Er gab mir zwölf Dutzend Instruktionen darüber, daß ich nicht essen und nicht trinken dürfe, und meinte, er sei gespannt darauf, wie ich mit rasiertem Kopf aussehen würde. Lachend ging er aus der Tür.
Ich wunderte mich über mich selbst, daß ich ihn nicht haßte.
Nach seinem Weggang wanderte Alicia lange Zeit in der Wohnung herum, betrachtete die Artefakte und machte blöde Bemerkungen über ihren historischen Wert.
»Kann ich dir irgend etwas zurechtmachen?« fragte sie, an meinem Sessel vorübergehend.
»Was?«
»Etwas zu essen, ich weiß nicht.«
»Ich darf nichts essen. Ben hat es mir verboten.«
»Ach ja, richtig.«
»Bist du meinetwegen, wegen der Operationen nervös?«
»Sollte ich das nicht sein?«
»Nein.«
Mitten auf einem Beistelltischchen stand ein Plastikbecher mit fünf Würfeln. Alicia begann, sich damit zu beschäftigen.
Sie schüttelte den Becher und paßte auf, bei welcher Augenzahl die rollenden Würfel liegenblieben.
»Vielleicht möchte ich doch eine Erneuerte sein«, erklärte sie plötzlich.
»Machst du Witze, oder …«
»Teils. Zumindest teils. Aber da war ein Augenblick, als ich dachte, ich müsse sterben, du weißt schon, als ich mit Cheryl rang, und ich habe darüber nachgedacht. Daß ich nicht ganz bereit war zu sterben und all das alte Zeug. Ich dachte, ich hätte doch noch Aufgaben zu erfüllen, ich würde gern weiter mit dir Zusammensein, so der übliche sentimentale Quatsch.«
»Du kannst deine Meinung ändern, wenn die Zeit gekommen ist. Laß dich erneuern.«
»Nein. Ich kann nicht. Auch wenn sie meine Identität niemals feststellen.«
»Glaubst du, sie werden sie feststellen?«
»Möglich ist es. Man sagte mir, gegen dich sei ein Steckbrief erlassen worden. Gegen mich auch,
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