Alicia II
sein könne.
»Sieh mal, du hast ihn gerade zur Schnecke gemacht, richtig? Du bist ein Fremder, und du hast ihm widersprochen, als seist du einer der Einheimischen. Er hat es schon gar nicht gern, wenn jemand von uns so mit ihm redet, wie ich es eben getan habe, und es gibt Grenzen für das, was er sich gefallen läßt. Ich kann mir mehr als die meisten anderen erlauben, weil ich schon so verdammt lange hier bin. Und ob du nun selbst den Eindruck hast oder nicht, du hast ihn stärker angegriffen als ich. Nicht öfter, aber heftiger. Das mag er nicht, aber er hat dich gehen lassen, hauptsächlich deswegen, weil wir schnell genug von da verschwunden sind. Wärst du jedoch ein Wackelpeter, dann wäre Sam sicherlich zum Berserker geworden. Kein Wackelpeter darf ihm widersprechen. Er erträgt das schon kaum, wenn er außerhalb von Hough ist und mit Außenseitern zu tun hat. Wie ich gehört habe, schlägt er in so einem Fall sofort zu. Ganz gewiß läßt er es sich aber nicht gefallen, daß Wackelpeter-Scheiße seinen eigenen Rasen beschmutzt.«
»Nun, ich bin ja kein Wackelpeter.«
»Wie Sam gesagt hat, hoffentlich nicht.«
Obwohl sie lächelte, lag in ihren Augen etwas verborgen.
Eine Drohung, die auf den richtigen Zeitpunkt wartete.
11
Zurück auf der Straße, erschauerte ich in einem kalten Wind.
Die pastellfarbenen Lichter waren düsterer geworden. Mary war einsilbig geworden und antwortete nur auf direkte Fragen.
Ich fragte sie, ob sie Kinder habe, und sie berichtete mir, auch sie habe die vorgeschriebene Gebärperiode durchgemacht, die eine der Regierungsmaßnahmen zur Förderung (und Sicherung) der Geburten später auszumusternder Kinder war.
Das Gesetz hatte man mittlerweile wieder abgeschafft, aber Mary hatte drei Kinder geboren, von denen jedes sofort in Pflege gegeben worden war.
»Sie sind okay, die Kinder, nach dem, was ich gehört habe. Strohdumm. Sie werden das Gleichgewicht nicht stören. Nun, besser ein Wiederverwendungskörper als ein vergeudetes Leben, wie das Buch sagt. Ich jedenfalls habe das Meine getan.«
Ich fragte sie, wohin wir gingen, und hoffte, sie führe mich zu ihrer Wohnung. Ich hatte bereits interessante Visionen von ihrem Spezialbett. Aber sie antwortete: »In ein anderes Lokal. Du wirst schon sehen.«
Wir gingen langsam. Auf den Straßen waren jetzt mehr Leute. Ich wäre lieber ein bißchen schneller gegangen, vor allem als ich merkte, daß einige der Passanten mich mit merkwürdigen Blicken betrachteten.
Wir gelangten an ein wenig eindrucksvolles Gebäude, dem die wilden Farben seiner Nachbarn fehlten. Es war ganz schwarz getüncht bis auf eine weiße Umrahmung des einzigen Fensters und ein schwarzweißes Schachbrettmuster auf der Tür. Für Hough schien es viel zu streng dekoriert zu sein.
Mary nickte zu der Tür hin, und wir gingen darauf zu. Sie teilte sich für uns wie ein Vorhang. Im Vorbeigehen berührte ich das Material. Überraschenderweise war es Metall, nicht Stoff.
Ich brauchte eine Minute, bis sich meine Augen der Dunkelheit drinnen angepaßt hatten, und dann noch eine Minute, bis ich mich dem Inneren des Gebäudes angepaßt hatte. Sobald die Tür sich hinter uns geschlossen hatte, faßten Hände behutsam nach unsern Händen und führten uns weiter.
Ich glaube, wir passierten eine weitere Tür, und dann ließen die führenden Hände uns anhalten. Als ich besser zu sehen begann, erkannte ich, daß wir am Ende eines großen Raums standen. Auch hier war die Dekoration düster. Schwarze und weiße Vorhänge wechselten an den Seitenwänden miteinander ab. Hinten war ein großer, vom Boden bis zur Decke reichender Vorhang mit einer schwarzen und einer weißen Hälfte. Auf dem Fußboden waren Sitze, zu denen man hinabsteigen mußte, mit Kissen ausgelegte Löcher. Von irgendwo hinter dem zweigeteilten Vorhang erklangen wehmütige Töne, die keine Melodie bildeten. Die spärlichen Lichtquellen waren unregelmäßig auf Fußbodenhöhe verteilt.
Das trug mit dazu bei, daß man sich in dem Raum nur schwer zurechtfand.
»Ist das ein Theater?« erkundigte ich mich bei Mary.
»Du hast es erraten.«
»Es ist eine Weile her, daß ich in einem Theater war.«
Das war nahe an einem Versprecher gewesen. Es war mehr als sechzig Jahre her.
Ein Platzanweiser kam und führte uns zu unsern Sitzen. Es war Platz für zwei in unserm Fußbodenloch. Wir stiegen über Stufen an entgegengesetzten Seiten hinunter. Sobald wir saßen, gab der Platzanweiser uns Programmhefte und
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