Alicia
Doch sie spürten die Autorität, die hinter seinen Worten stand. Sie bargen sich in einer dunklen Ecke und starrten Brian an und diese Frau, die sie bisher noch nie gesehen hatten.
Brian breitete mit sachter Hand das Hemd über Marys Körper. Er richtete ihren Kopf gerade, der im unnatürlichen Winkel vom Körper abstand. Er wollte sie ins Haus tragen und versuchte es ein paarmal. Doch er war nicht kräftig genug dafür. Selbst seine körperliche Schwäche war nur Nahrung für seinen auflodernden Zorn. Die Diener hatten die Vermutung ausgesprochen, Roger habe sie vergewaltigt. Doch Brian glaubte ihnen nicht. Einer von den Wächtern! dachte er.
Wie in Trance überwand er die Treppen bis zu Marys Zimmer. Die Wachen wollten ihn im Betreten des Zimmers hindern, überlegten es sich aber anders, als sie sein Gesicht sahen. Er stieß die Tür zu Marys Zimmer auf.
Er starrte einen Moment auf Roger, der schnarchend in Marys Bett lag. Er schien nichts zu denken bei diesem Anblick. Nur die Gefühle, die ihn bewegten, waren wie Flüsse, die sich zu einem mächtigen Strom in ihm vereinigten.
Mit tödlicher Ruhe drehte er sich um und nahm eine Kanne mit kaltem Wasser vom Tisch. Er goß Roger das Wasser über den Kopf.
Roger stöhnte und schlug die Augen auf. »Brian«, sagte er trunken und lächelte schwach. »Ich träumte gerade von dir. «
»Steh auf! « sagte Brian mit tödlicher Stimme.
Roger wurde hellwach. Er war ein erfahrener Krieger und wußte sich zu beherrschen, wenn er die Gefahr spürte. »Was ist geschehen? Ist Elisabeth… « Er hielt inne, als er sich aufrichtete und merkte, wo er war. »Wo ist diese Montgomery hingekommen? «
Brians Gesicht behielt diesen stählernen Ausdruck bei. »Sie liegt tot auf den Fliesen unter dem Fenster. «
Ein Flackern ging über Rogers Gesicht. »Ich wollte beweisen, was für eine Frau sie ist. Ich wollte dir zeigen… «
Brians tiefe Stimme schnitt ihm das Wort ab. »Wo ist Stephen Montgomerys Frau versteckt? «
»Brian, du mußt mir zuhören«, bettelte Roger.
»Zuhören! « fauchte Brian. »Hast du auf Marys Schreie gehört? Ich weiß, daß sie eine furchtsame Frau war, und sie muß oft und laut geschrien haben. Hast du es genossen? «
»Brian… «
»Still! Du hast deine letzten Worte mit mir geredet. Ich werde diese andere Frau, die du gefangenhältst, finden, und wir werden dieses Haus verlassen. « Seine Augen wurden zu Schlitzen. »Wenn ich dich noch einmal sehe, werde ich dich töten! «
Roger fiel auf das Bett zurück, als hätte ihn ein Faustschlag getroffen. Er sah benommen zu, wie sein Bruder aus dem Zimmer ging. Er sah das Blut neben sich auf dem Laken und dachte an die Frau, die tot unten auf den Fliesen lag. Was hatte er getan?
Brian brauchte nicht lange, um Alicia zu finden. Sie wurde vermutlich in dem Zimmer gefangengehalten, wo Edmund früher seine Frauen einquartierte. Wieder versuchten die Wachen nicht, ihn zurückzuhalten. Die Tragödie dieser Nacht konnte man selbst durch die Wände spüren.
Alicia war wach und fertig angezogen, als Brian ins Zimmer kam. Sie sah auf den jungen Mann mit dem stahlharten Gesicht. »Was ist passiert? « fragte sie ruhig.
»Ich bin Brian Chatworth«, sagte er. »Ich bringe Euch zu Eurer Familie. Seid Ihr bereit? «
»Meine Schwägerin wird hier ebenfalls gefangengehalten. Ohne sie gehe ich nicht fort. «
Brian knirschte mit den Zähnen. »Mein Bruder hat Eure Schwägerin vergewaltigt, und sie gab sich selbst den Tod. «
Er sagte das so gelassen, als bedeute ihm die Sache nichts.
Alicia spürte, daß dieser junge Mann tief bewegt war. Mary, dachte sie, süße, teure, sanftmütige Mary! »Wir können sie nicht hierlassen. Ich muß sie zu ihren Brüdern zurückbringen. «
»Ihr braucht Euch um Mary nicht zu kümmern. Ich werde mich ihrer annehmen. «
Die Art, wie er »Mary« ausgesprochen hatte, offenbarten Alicia eine Menge. »Ich bin bereit«, sagte sie still und folgte ihm aus dem Zimmer.
Als sie draußen im Freien waren, wandte Brian sich ihr wieder zu: »Ich werde Euch Wächter mitgeben. Sie werden Euch hinbringen, wohin Ihr wollt. Oder ist es Euer Wunsch, mit mir zur Burg der Montgomerys zu reiten? «
Alicia brauchte nicht lange, um sich zu entschließen. Sie hatte reiflich Zeit gehabt zum Überlegen, als sie in diesem Zimmer gefangen war. Sie mußte Frieden mit den MacGregors schließen, ehe sie Stephen Wiedersehen konnte. Sie mußte ihm beweisen, daß sie seiner Liebe würdig war. »Ich muß nach
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