Alien Earth - Phase 2
dem Zeigefinger die Narben entlang, die Melvins Peitschenschnur hinterlassen hatte, hielt immer wieder an, um einzelne Stellen genauer zu untersuchen. Schließlich hatte er die Runde beendet. Er wandte sich an Melvin. »Was hat das zu bedeuten?«, fragte er, und in seiner Stimme klang die Schärfe des wütenden Eric Pinero mit. Des Eric Pinero, vor dem man sich in Acht nehmen musste.
»Was meinst du damit?«
»Verkauf mich nicht für dumm! Ich bin nur ein einfacher Tierarzt, der zu viel säuft und zu sehr auf den lieben Herrgott vertraut und wahrscheinlich ein kompletter Dummkopf, mich mit einem Häftling wie dir zu Vertrautheiten hinreißen zu lassen, aber ich bin nicht blind. Dieser Smartie ist so gesund, wie es nur möglich ist.«
Melvin nickte. Sein Kinn stieß gegen den Halsring des Aufzugs.
»Also, was soll das Ganze hier? Was willst du von mir, Melvin Siukovich?«
»Willst du eine ehrliche Antwort?«
»Natürlich.«
»Ich habe Angst, Eric. Furchtbare Angst.«
»Das ist kein Grund zu gesteigerter Besorgnis. Das haben wir hier unten alle. Das weißt du so gut wie ich.« Eric hatte 59b den Rücken zugewandt, beide Arme trotzig in die Hüften gestemmt.
»Nein, ich meine nicht diese Angst. Eric … Seit Blodget tot ist, muss ich mich zwingen, nach draußen zu gehen. Und wenn ich draußen bin, muss ich jede einzelne Sekunde aufpassen, dass ich nicht den Anzug auf volle Kraft schalte und zur Station zurückrase. Verstehst du?«
»Natürlich.« Der Arzt ging vor dem sitzenden Melvin in die Knie, um ihm in die Augen sehen zu können. »Ich verstehe dich sehr gut. Das ist eine ganz natürliche Reaktion. Und ich könnte dir auch sofort ein Mittel gegen die Angst geben. Aber das werde ich nicht tun. Es hilft für zwölf Stunden, und in einer Woche wirst du meinen ganzen Vorrat geschluckt haben. Danach wird es nur noch viel schlimmer sein. Menschen können sich aus Angst vor dem Tod das Leben nehmen.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, du musst die Kraft in dir selbst finden. Ich weiß, dass du es kannst. Ich habe dich in den letzten Monaten kennengelernt, Melvin Siukovich. Du bist kein gewöhnlicher Häftling. Du bist stark. Und weißt du, was dich stark macht? Du hast einen klaren Kopf. Du siehst die Dinge, wie sie sind, und nicht, wie du sie dir wünschst oder wie es dir deine Ängste einflüstern. Du musst nur deinen Kopf bemühen. Blodgets Tod war furchtbar, aber er war ein Unfall. Blodget war nachlässig, das weiß jeder - und die Tiefsee verzeiht keine Nachlässigkeit.«
»Es war kein Unfall.«
»Was soll es sonst gewesen sein?« Der Arzt ruckte von Melvin weg.
»Eric, ich habe mich umgehört. Blodget ist der fünfte Hirte in diesem Jahr, den es erwischt hat, sagen die anderen Häftlinge. Stimmt das?«
»… ja.«
»Wenn du mich fragst, sind das zu viele, um als Unfälle durchzugehen.«
»Was soll es sonst gewesen sein?« Eric stand auf, sah zu Melvin herunter. »Materialermüdung, menschliche Fehler - das genügt. Da draußen ist nichts, was uns gefährlich werden könnte. Haie kommen für gewöhnlich nicht in diese Tiefen. Und die wenigen, die es tun, würden sich an den Panzeranzügen die Zähne ausbeißen. Die Smarties sind geprägt, sie könnten sich nicht gegen ihre Hirten auflehnen, selbst wenn sie es wollten.«
»Ich spreche nicht von Haien und Smarties.«
»Wovon dann? Draußen …«
»Ich spreche von drinnen. Von Reeve.«
»Du bist verrückt! Weißt du, was du da sagst?«
»Ja.«
»Das ist Unsinn! Gefährlicher Unsinn. Betty ist keine Mörderin!«
»Woher soll ich das wissen? Ich kenne nur ihre Stimme und ihre Befehle. Vielleicht hat sie Spaß daran, Häftlinge umzubringen? Sie wäre nicht die erste Wärterin, die auf den Geschmack kommt.«
»Melvin, das ist absurd! Ich kenne sie. Betty würde so etwas nie tun.«
»Auf sich selbst gestellt, wahrscheinlich nicht. Aber was ist, wenn ihr jemand von oben einen Befehl gibt? Überleg doch, Eric. Ganz nüchtern, mit klarem Kopf. Das ist der einfachste Weg, Häftlinge loszuwerden, nicht? Niemand stellt Fragen, wenn ein Mann nicht mehr hochkommt. Ein Befehl würde genügen. Betty würde ihn ausführen. Sie führt alle Befehle aus. Das weißt du so gut wie ich!«
Eric Pinero sagte nichts. Er stand steif da. Die Finger seiner Linken spielten mit den Gliedern der Kette, an der sein Kreuz hing.
»Eric, du brauchst mir nicht zu antworten«, fasste Melvin nach. »Ich verstehe dich. Du musst sehen, wo du in dieser Welt bleibst. Dieser Welt, die
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