Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
sich, die Augen niederzuschlagen, denn sie fühlte sich im Dunkeln sicher. Dennoch blieb sie auf dem Steuerdeck, während Kapitän Sholan seinen Schwager begrüßte.
»Sholan!«, rief der Mann und klopfte ihm kräftig auf den Rücken. »Wo warst du denn? Seit Monaten hat dich niemand mehr gesehen.«
»Auf den Lumpeninseln«, antwortete Kapitän Sholan barsch, aber offensichtlich selbstzufrieden.
Der Mann nickte und würdigte Alissa keines zweiten Blickes, nachdem er die wenigen Glöckchen an ihrem Knöchel gehört hatte. Alissa lächelte und war froh, nicht mehr so viel Aufmerksamkeit zu erregen. »Du hast sie gefunden? Man stelle sich vor …«, sagte der Mann abgelenkt. »Und was hast du mit dem Schiff meiner Schwester angestellt?«, fragte er und trat rasch an den Baum. Er fuhr mit der Hand darüber und brummte, als er feststellte, wie glatt und hart das Holz war. »Oh, das gefällt mir. Was für ein Holz ist das? Hast du es auf den Lumpeninseln gefunden? Sie haben dort tatsächlich Hartholz? Wer hätte das gedacht? Gibt es noch mehr davon?«
»Nimm die schmierigen Hände von meinem Schiff«, sagte Kapitän Sholan laut, und mehrere Leute auf dem Dock riefen fröhliche Ermunterungen.
»Ja, es ist wieder dein Schiff«, gestand der Mann zu. »Meine Schwester hat mich zum Spionieren geschickt. Ich bin hier, damit sie Ruhe gibt, die alte Hexe. Aber erzähl mir von den Lumpeninseln. Gibt es dort viel von diesem guten Holz? Wie lange braucht man für die Reise? Nutzt man die Strömung?«
Alissas Blick folgte Strell, der schwer beladen an ihr vorbeiging. Sie fragte sich, ob Kapitän Sholan nicht vielleicht früher als erwartet zu den Lumpeninseln zurückkehren würde. Sein Schwager schien von dem Euthymienholz ebenso beeindruckt zu sein, wie es der Kapitän gewesen war.
Strell ließ seine Ladung am Ende der Planke fallen und ging wieder vor Alissa vorbei. Connen-Neute reichte Lodesh ein Bündel nach dem anderen aus der Luke herauf, die sich an Deck zu einem überraschend großen Haufen stapelten. »Wie sollen wir das alles zur Feste schaffen?«, flüsterte sie, als Nutzlos aus der zweiten Luke stieg und im Schatten hinter ihr stehen blieb.
Nutzlos räusperte sich und behielt die beiden Männer, die noch immer über den neuen Baum sprachen, genau im Auge. »Wir müssen die Sachen nur aus der Stadt bringen«, sagte er und achtete darauf, den Blick gesenkt und die Hände verborgen zu halten. »Noch vor Sonnenaufgang werden alle kommen und ihre Sachen abholen. Yar-Taw hat gesagt, er hätte die Trageschlinge für den Pfeifer fertig. Zu zweit werden wir Strell sicher zurückbringen.«
Strell schauderte theatralisch, als er wieder mit vollen Armen an ihnen vorbeikam.
»Bei Sonnenaufgang sind wir zu Hause«, fuhr Nutzlos zufrieden fort. »Die Feste sieht bei Sonnenaufgang am schönsten aus. Silla sollte sie so zum ersten Mal sehen.«
Alissas Meinung nach würde die Feste im Augenblick bei Schnee, Sonnenschein oder Nebel gut aussehen. Dann zögerte sie. »Was ist mit Lodesh?«
Nutzlos wiegte sich auf die Fersen zurück und sagte nichts. Dann wirbelte er, immer noch schweigend, auf dem Absatz herum und verschwand unter Deck. Alissa runzelte die Stirn. Sie könnte ihm eine Antwort entlocken, aber es würde einfacher sein, sich direkt an die Quelle zu wenden. Sie sah sich mit schmalen Augen auf dem Deck nach Lodesh um. Lodesh würde nicht einfach davonlaufen, weil sie und Strell nun verheiratet waren. Dafür würde sie sorgen!
Sie stapfte zu ihm hinüber, jetzt schon empört. Die Glöckchen an ihrem Knöchel verrieten sie, und Lodesh richtete sich aus seiner schlaffen Haltung auf, als sie sich näherte. Connen-Neute warf einen Blick in ihr Gesicht, stammelte eine Entschuldigung und verschwand in der sicheren Dunkelheit des Laderaums.
»Was soll das heißen, du willst nicht mit uns zurückkommen?«, fragte sie, die Hände in die Hüften gestemmt.
Lodesh strich sich eine lange Locke aus dem Gesicht. »Ich bleibe bei Kapitän Sholan«, erklärte er gelassen. »Er hat mir gestern gesagt, dass er zu den Inseln zurückkehren und mehr Euthymienholz holen will. Ich fahre mit, um dafür zu sorgen, dass er die Insel nicht zu einer Wüste rodet.«
»Das ist nicht der Grund, weshalb du bei ihm bleibst«, warf sie ihm vor. »Du läufst davon.«
Kannst du mir das verdenken?, fragten seine hochgezogenen Augenbrauen, doch er schwieg. Alissa errötete. Sie trat von einem Fuß auf den anderen und versperrte ihm dann den Weg. »Ese’
Weitere Kostenlose Bücher