Alkor - Tagebuch 1989
dann wäre auch ich mit einer Panzerfaust den Russen entgegengeschickt worden. Dann hätte mir Workuta geblüht statt Bautzen. Wäre ich in Berlin zwei Tage später aufgebrochen - lebte ich nicht mehr.- Die stillen Tage in der Mansarde, als ich aus Berlin entkommen war und auf die Russen wartete.
Störrisches Gespräch zwischen drei russischen und drei deutschen Wissenschaftlern über den Hitler-Stalin-Pakt. Geheimvereinbarung? Davon wüßten sie nichts. - Stalin hat ja noch Glück gehabt, daß er sich nicht selbst mit Hitler getroffen hat: Man stelle sich das Foto vor!
Der müde Gorbatschow -«sichtlich mitgenommen»- und der Streik. Mißstände in den Kohle-Revieren: Sie hätten schon vor zwei Jahren von den örtlichen Behörden beseitigt werden müssen.
Seife haben sie nicht! Bergarbeiter! Staatsmann ist ja ganz schön und gut, aber gräßlich, wenn man sich der johlenden Menge stellen muß.
«Feldpartie»von Haydn. - 5. Symphonie von Schostakowitsch. Ein Japaner namens Uno mit weißen Handschuhen hält eine Wahlrede. Die Handschuhe sollen wohl eine weiße Weste symbolisieren.
Windjammerparade. Sie gleiten dahin, die stolzen Schiffe. Schulz schrieb, bei Segelschiffen sei das keineswegs ein Gleiten, es höre sich manchmal an, als ob das Schiff über grobe Pflasterung fahre. Mexikos Auslandsschulden: 53 Milliarden Dollar!
Waldbrände in Frankreich, von Brandstiftern gelegt. Die RAFs wollten das ja auch tun, als Deutsche sind sie denn doch davor zurückgeschreckt. Ich dachte immer, wenn ich ein Terrorist wäre, würde ich vom Zug aus eine Handgranate auf Umformerstationen werfen, an denen man manchmal vorüberfährt.
Hildegard las mir aus dem«Sirius»vor, den Monat August. Ich war einigermaßen entzückt. Das wird ein schönes, rundes Buch. Die Volksrepublik Polen kriegt für 300 Mio. Lebensmittel. Der totale Zusammenbruch der Kommunisten auf allen Gebieten.«Daß ich das noch erlebe!»möchte ich sagen. Schadenfreude kommt auf. Früher haben die Polen halb Europa mit Lebensmitteln versorgt.
Heute rief ein Büchereileiter aus Apenrade an, wegen einer Lesung. Was ich gerade mache, wollte er wissen.
«Ich schreibe ein Buch.»
«Schon wieder?»
Ein solcher Dialog ist kein guter Auftakt für eine Lesung.
Heute bekam ich vom Piper Verlag eine Zahlung von 1000 DM für das verhunzte Morgenstern-Buch. Meine kümmerliche Autographen-Sammlung habe ich durch das Buch bereichern können. Kaufen wird das Dings niemand, obwohl es einige unerwartet schöne Beiträge enthält.
Nartum
Di 25. Juli 1989
Bild: Halten Sie durch, Herr Gorbatschow
ND: XII. Kinder- und Jugendspartakiade eröffnet/Große Bewährungsprobe für Nachwuchssportler
T: Ich träumte, daß ich meine Lederhandschuhe suche.
Hildegard:«War’s kalt?»
In Hamburg. In einem Café gegenüber von Buchhandlung Jud, Radiomusik plus Nachrichten und Werbung, dazu ein Stück Torte, die aus dem Kühlschrank kam, die Sahne pappig. Das sind Genüsse des Lebens!
«Könnten Sie vielleicht das Radio abdrehen?»
«Wieso?»
Kaufte bei Schacht & Westerich«Ordnungsmaterial»: 33,45 DM. Sowie bei Jud«Echolot»-Bücher (angeregt durch Stölzl): Herdan-Zuckmayer: Farm. Klaus Mann: Tagebücher.
Das Zusammentreffen von Prominenten und Unbekannten im«Echolot». Das Vor und Zurück der Kamera. Buchhändler Weber legt immer besonderen Wert auf gut gestaltete Schaufenster. Er hat auch schon mal in grauer Vorzeit Karteikästen von mir ausgestellt und graphische Übersichtstafeln (1973). Das sei ihm nicht vergessen.
Abendessen in den Vierjahreszeiten, von Nährig, dem freundlichen Oberkellner, laut mit: Herr Professor! begrüßt.
Nartum
Mi 26. Juli 1989
Bild: Lügen um Genschers Herz
ND: DDR steht fest an der Seite des kubanischen Volkes
Es sei warm wie Pott, sagt Hildegard, als sie mich mit dem Munterhund weckt. Das Tier schickt sich an, auf mein Bett zu springen,
er sagt: So! Los, los! Nun raus aus den Federn! Ich komme mir in meinen Linnen ein wenig wie der arme Lazarus vor. Frühstück auf der Terrasse, wobei wir in aller Seelenruhe den Wespen zugucken, die direkt über unserm Kopf ihr Papiernest haben und lebhaft aus- und einfliegen.
Verlag hat«Block»(II) fürs TB freigegeben.
1969 wurde der«Block»(I) von Rowohlt zum Ballon-Abschmiß über der DDR vorbereitet (Umschlag in Tarnfarbe, auf Handtellergröße verkleinert). Ich hätte nichts dagegen gehabt, aber die jungen Linken im Verlag waren so empört, daß sie mich gar nicht um meine Meinung
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