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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Befürchtung, daß diesem Land ein ähnliches Schicksal von seinen Bewohnern bereitet wird, wie es der Weimarer Republik geschah.

    Von der extremen Rechten und Linken wird an dem sauer erkämpften demokratischen Gefüge genagt, und zu wenige finden sich bereit, diejenigen zu stärken, die in der Mitte stehen und sich mehr und mehr irritiert zeigen.
    Auf dem dazugehörigen Foto bin ich mit schwarzem Hemd, roter Jacke und goldenem Strohhut zu sehen.
    Früher gab’s für die Schreibmaschine von Pelikan blaue, grüne, rote und sogar braune Farbbänder, auch halbierte rot/blaue oder grün/blaue usw. Alle nur möglichen Varianten hatte ich gehortet und nie verwendet. Sammeln eines Schreibinstrumentariums aus Lampenfieber vor den Stoffmassen, die sich näherten?
    Huxley hat einen Schriftsteller geschildert («Kontrapunkt»), der alle Materialien für’s Schreiben besaß, er hätte loslegen können, sozusagen, aber es ging nicht los. - So damals mit mir in Rostock, die leeren Karteikästen. Es ging erst los, als ich den Stau mit Zetteln auffing, Kleinholz für’s Feuer sammelte.

Nartum
Di 18. Juli 1989
    Bild: Sterbender Karajan: Gott, habe ich das verdient?
    ND: Studentensommer der FDJ 1989 in Berlin eröffnet/Namibier kehren aus der DDR in ihre Heimat zurück/«Wir kamen als Flüchtlinge zu euch, jetzt gehen wir als Fachleute»
     
    Spannende Entwicklung in der SU. Als Milchmädchen muß ich sagen, es kann nicht gutgehen. Wahrscheinlich schleppt sich das noch ein paar Jahre oder Jahrzehnte hin und versinkt in dem allgemeinen Kollaps, der die ganze«Dritte Welt»erfassen wird und uns dann alle hinabreißt. Landwirtschaft und Industrie im Eimer, die Nationalitätenfrage usw. Am besten wäre es für die Leute dort, Gorbatschow würde die SU auflösen und alle Regionen sich selbst überlassen, und dann die Ölfelder und Bodenschätze an die Amerikaner verpfänden. - Wer hätte eine solche Entwicklung für möglich gehalten! Was die Tattergreise in der DDR
wohl machen werden? Krolikowski? Der zieht seine Standuhr auf. - Ich habe gehört, daß die Umweltverschmutzung in den Ostblockländern schon irreparabel ist. Und wenn man sieht, wie lasch sie bei uns die Ozonfrage angehen, dann kann man nur sagen: Good bye.
    Mich wundert immer wieder, daß sie in Filmen Feuerkatastrophen zeigen, explodierende Autos usw., daß das erlaubt ist! Da wird doch auch eine Menge Sauerstoff verbraucht? Wenn hier bei uns auf dem Lande einer ein bißchen Reisig anzündet, kommt gleich das Überfallkommando.
    Simone arbeitet wie im Rausch am«Echolot». Auch ich habe rauschhafte Zustände zu bewältigen, das ist aber mehr eine Art Trance. Leibschneiden und ein fiebriges Gefühl lassen jede Kraft erlahmen. So geht das nun schon seit Wochen.
    Ich war bei Kersten und beim Haarschneider - ob meine Haare über die Ohren hängen sollen, hat die Friseuse gefragt - und dann zwei Stunden im«Hörzu»-Archiv für«Sirius»im Jahrgang 1983 geblättert. Mir fiel auf, wie armselig die drei Programme sich gegenüber unserem jetzigen Angebot ausnehmen. Groteskerweise sieht man nun weniger fern als zuvor.
    Leider konnte ich nicht in Ruhe arbeiten, im Hintergrund schwatzten zwei Angestellte weibl. Geschl. miteinander. Am Gebäude der«Hörzu»sind alle Beschriftungen abmontiert worden, aus denen hervorgeht, daß es sich um ein Springer-Unternehmen handelt.
    Dann kaufte ich allerhand Bücher für’s«Echolot», Heine-Buchhandlung, unfreundlich. Ich hatte das Gefühl, dort als Klassenfeind zu gelten.
    Weiße Flecken in der Geschichte ausfüllen.
    Hilberg: Auschwitz. Lange: Cap Arcona. Ploetz: WK 1939-45. Klarsfeld: Vichy-Auschwitz. Zusammen: 160,40 Mark.
    Dann machte ich Farbkopien für das«Echolot»: 41,25 Mark. Jeder Tag müßte mit einem großen Foto beginnen.
    Nudelauflauf, Schokoladenpudding.

Nartum
Mi 19. Juli 1989
    Bild: 2 berühmte Tierexperten fordern: Verbietet diese Hunde. Sofort!/Karajan - Heimlich in der Nacht begraben
    ND: Briefwechsel zwischen dem Bischof zu Greifswald, Dr. Horst Gienke, und dem Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Erich Honecker/Verbunden in angestrengter guter Arbeit für das Wohl der Bürger der DDR
     
    23 Uhr. - Dorfroman: Eine der Hennen - sie haben einen wundervollen Kamm und schönes, gleichmäßig in sich gemustertes Gefieder-ist besonders zutraulich. Sie läßt sich gern streicheln, allerdings nur kurz, dann wird es ihr zuviel, und sie weicht seitlich aus. Der Hahn ist prachtvoll, groß, schwer und ehrfurchtgebietend. Wenn

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