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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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nicht gegen Rot-China protestiert haben. Es heißt, es seien damals Millionen von Chinesen umgekommen, zu einer Zeit also, wo hier die Studenten begeistert sich auf Mao beriefen. Möchte mal in ein rotes Büchlein reingucken. Ob es das noch zu kaufen gibt?
    Nun werden die Leute vom 20. Juli mit dem National-Komitee Freies Deutschland vermengt. Sogar die Dönhoff gab sich dazu her. Das Mißverständnis liegt darin, daß man einige wenige Idealisten innerhalb des NKFD mit der Masse der«Verräter»gleichsetzt. Das Ganze ist auch eine Stilfrage.
    Parallelen ziehen zu den 68ern. (Die im Gegensatz zu den Männern vom National-Komitee nichts davon hatten, daß sie sich ranschmissen an die Kommunisten, nur die vage Hoffnung,«wenn’s mal andersrum kommt», einen Posten zu kriegen. Aber die Roten hätten ihnen was geschissen, so wie sie Paulus und diese Leute dann zu 25 Jahren verknackt und ins Gefängnis gesteckt haben.)
    Einem jungen schielenden Motorradfahrer ist der Kopf wieder angenäht worden, er sei innerlich abgetrennt worden, sagt der Nachrichtensprecher. Auch das hat was mit den«Tagesthemen»zu tun, wenn auch etwas weit hergeholt. Einen neuen Kopf zu bekommen, so weit sind wir noch nicht. Wie sich der Kopf wohl wunderte, wenn er unter sich einen anderen Körper hat, einen mit O-Beinen. Ob man einen männlichen Kopf an einen weiblichen Körper annähen könnte?
    Ich sitze oft lange bei den Hühnern und spreche mit der Glucke. Es heißt, daß Tiere es gern haben, wenn man mit ihnen spricht. Katzen suchen von sich aus das Gespräch.

Nartum
So 23. Juli 1989
    Welt am Sonntag: Aufrührer in der UdSSR erschießen 2 Soldaten /Streiks, Unruhen, Überfälle, Seuchengefahr - Lage für KP-Chef Gorbatschow«bedrohlich»

    Sonntag: Nach mehr als 40 Jahren. Gedanken zu meinem komplizierten Land. Von Hans Jacobus
     
    Warm. -
    Im TV von morgens bis abends Tennis und die«Windjammerparade»in Hamburg. Die Sowjets protzen mit ihrem Viermaster; daß es ein ehemals deutsches Schiff ist, weiß niemand mehr. Mir tut’s weh. Daß sie Hilfsmotoren an Bord haben, für alle Fälle, ist stillos. - Sogenannte Motorsegler gehörten früher zum alltäglichen Bild im Rostocker Hafen. Mein Urgroßvater in Königsberg hat sein Geld mit drei Haffseglern gemacht.
    Tennis: Mich wundert, daß diesen Assen so viele Aufschläge mißglücken: Und daß die nicht zählen. Der«Leimener»(Becker) ist das ergiebigere Show-Talent, da ist immer Spannung, weil er nicht wie Steffi langweiligerweise dauernd gewinnt. Ihr haftet was vom Reihenhaus an, man würde ihr einen Porsche nicht glauben. Ich gebe zu, daß mich Lüsternheit anfällt, wenn ich sie da herumhopsen sehe - was bei dem«Leimener»freilich nicht der Fall ist. - Herrlich, wenn sich die Tennisleute beschweren, daß der Ball genau auf dem Strich oder eben grade nicht. Die Ballmädchen, wie sie am Netz hocken oder durch Hochhalten von Bällen signalisieren: Willste einen? So was würde mich stören.
    Ein Herr aus Schweden schreibt, es würde mich gewiß freuen, wenn ich wüßte, daß meine Bücher auf den Regalen der öffentlichen Bücherei in Schweden stehen und auch gelesen werden, für«Hundstage»gäbe es eine Warteliste. - Er fragt, ob ich mit ihm zusammen die Biographie des Hitler-Attentäters Elser schreiben will. Als ich damals mein Hitler-Buch dem Elser widmen wollte, sagten sie im Verlag, das sei zu pathetisch.
    Eine schöne Fahne haben sie, die Schweden. Aber sie laden mich nicht zu Lesungen ein.
     
    2000: Bis heute nicht. Nein, den Herren wollen wir hier nicht. - Was bin ich denn für einer?

    Nachmittag im Garten. Kaffee und Kuchen. Hildegard schneidet im Hintergrund Blumen. Ein Flugzeug fliegt hoch oben über mich hinweg. Nun doch Sehnsucht nach Amerika. Nach dem blauen Himmel über mir und dem gefärbten Rasen unter mir. Alte Gitarrenmusik aus dem Recorder. Ich lebe meinen eignen Film.

Nartum
Mo 24. Juli 1989
    Bild: Vier Freunde/Ein Sieg/Tennis-Triumph über Amerika
    ND: Nahezu ein Drittel des Korns unter Dach und Fach
     
    T: Endloser Traum, Kriegsende. Die kitzlige Situation der letzten Kriegstage, man will nicht mehr draufgehen, doch gerade das ist gefährlich.
     
    Ausgelöst wurde der Traum durch die Arbeit am«Echolot». Und dann rief vor ein paar Tagen ein gewisser Klaus Läuter an (gleichaltrig mit mir, Klassenkamerad), 1945 von den Russen gefangengenommen und nach Workuta geschafft. Erst 1952 kam er zurück! - Wenn ich mich zwei Tage früher aus Berlin abgesetzt hätte,

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