Alkor - Tagebuch 1989
ich morgens rauskomme, haben sich die meisten Hennen selbständig gemacht, sie sind über den Zaun geflogen. Der Hahn tut das nie. Ich beachte sie dann gar nicht, und mit großer Geschwindigkeit laufen sie hinter mir her in die Umzäunung, um von den Körnern was abzukriegen. Tagsüber liegen sie gern dicht beieinander in der äußersten Ecke des Hecks. - Dorfkinder haben sie neulich äußerst übel gescheucht, eins ist in den Brunnen gefallen, fast ertrunken. Die Vögel haben sich davon nichts anmerken lassen, sind also nicht scheuer geworden (haben auch nicht gepetzt). Der Hahn frißt mir ausnahmsweise mal aus der Hand. Ein wundervolles Tier. Aber auch die Hennen sind schön, diese kleinen Diakonissen.
«Schubert»von Fröhlich. Banal ist es, wenn er sagt, daß Schubert erst durch seine Schmerzen zum Künstler geworden ist.«Schubert komponierte, um zu vergessen …»Ebenfalls banal, aber es stimmt vermutlich. - Bei ihm erstaunt mich noch mehr als bei Mozart die Anzahl der Kompositionen. Ich verstehe, daß dieses kurze, reiche Leben Schriftsteller interessiert. Auch Fröhlich hat übrigens Streichquartette geschrieben. In der Vita steht überall und jedesmal, daß er bei Fortner Musik studiert hat. Jeder hat so seine interessanten Stellen im Lebenslauf.
Ein lieber freundlicher Mensch, der durch irgend etwas in seinem Wesen den Widerspruch, ja die Wut der Menschen erregte.
Nartum
Do 20. Juli 1989
Bild: Carl Heinz Schroth †/Er schlief sanft ein/Führerschein für große Hunde fordert ein Bundestagsausschuß
ND: Volkswirtschaft der DDR entwickelt sich weiterhin dynamisch und stabil
Ein Sommermädchen der ersten Stunde schreibt, daß sie Bildhauerin geworden ist.«Neulich habe ich in einer Buchhandlung Dein neuestes Buch entdeckt und mich darin festgelesen, es gefällt mir gut.»Na, denn. Warum kauft sie es nicht? Das ist die Frage. Ich denke, wir speien sie in den feurigen Pfuhl? Vielleicht läßt sie sich’s ja zu Weihnachten schenken.
Vor 20 Jahren der erste Mensch auf dem Mond. Das Aufstellen der Fahnen dort oben, die natürlich nicht wehten, sondern durch ein Gestell am Flattern gehalten werden mußten, das Herumhopsen in Schwerelosigkeit, das Mondauto, mit dem die Astronauten jugendlich herumkurvten im jahrtausendealten Staub. Es wird bleiben: der Blick auf den Blauen Planeten. Hausfrauen heften das Foto an den Küchenschrank. Für dieses Foto hat sich die ganze Sache gelohnt, finde ich. Was sonst dabei herausgekommen ist, weiß der liebe Himmel.
Arbeit am«Sirius».
Zeitung«Christ und Welt»kam:«Christ und Hund»sagten die Journalisten früher.
Nartum
Fr 21. Juli 1989
Bild: Genscher Herzinfarkt/Die DC-10-Katastrophe/So ist das also, wenn man stirbt
ND: Mehr Personalcomputer und Drucker aus Sömmerda
Stölzl war hier, gehört zu den«Fliegen»-Menschen, trug einen getupften Querbinder also. Wie Riesenhuber oder mein lieber Bruder Robert. Ein Gespräch mit viel Zeitgeist. Sehr Erfreuliches über«Echolot». Er meint, ich sollte auch Thomas Mann und Benn und andere Prominenzen mit aufnehmen. Er berichtete von den Ankäufen für sein neues Museum. Die Schreibmaschine Hitlers, auf der«Mein Kampf»getippt wurde, hat er zum Beispiel angekauft. Auch mein«Gefängnis»-Modell will er haben. Das Archiv will er nicht kaufen, leider. Sein Museum kaufe nur Objekte. Die«Hundstage»bezeichnete er als ein Buch, das mir«abgerutscht»sei. Das Haus samt Einrichtung musterte er, als müsse er es abnehmen.
Mit dem«Echolot»zielen wir auf den Mai 1995, 50 Jahre Krieg vorbei, 50 Jahre Frieden in Europa. - Nur ein Mensch wie ich, der ein wenig naiv ist, kann sich an ein solches Riesen-Projekt wagen.
Ich hatte wieder die Leib-Sache, ekelhaft, war drei Tage mattgesetzt.
Aus Oldenburg kam eine Studentin, die mir erzählte, daß dort anscheinend planmäßig gegen mich gehetzt wird. Wenn sie sagt, daß sie was von mir liest, fallen die Kommilitoninnen aus allen Wolken.«Von dem Arsch liest du was?»-«Von diesem hemmungslosen Selbstdarsteller …?»- Es ist ja auch auffällig, daß es bisher noch zu keiner Zusammenarbeit gekommen ist zwischen den Germanisten und mir. Soweit ich mich erinnere, hat es kein einziges Gespräch gegeben, von gemeinsamen Veranstaltungen keine Spur.
Nartum
Sa 22. Juli 1989
Bild: Freunde, Ärzte, Kollegen fürchten: Genscher arbeitet sich tot!
ND: Bündnis mit Polen ist Friedensfaktor in Europa
Die Luft ist voller Gnitzen.
Petra Kelly hat ihre Leute beschimpft, daß sie
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