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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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wenn’s ein Tagebuch wäre.
    Sehr originell, daß die Leute meinen, ich hätte mich in Alexander Sowtschick porträtiert. Ich dachte eher an Manfred Bieler oder Traugott Buhre. Pfeife rauchend, 1,85 groß.
    «Wo ist denn der Schwimmgang?»fragen sie. Das hat ihnen immerhin imponiert.
    Und:«Wie waren Sie mit der Verfilmung zufrieden? Hatten Sie ein Mitspracherecht?»
    Post: Auf intelligenten Zuspruch hoffe ich oder auf einen wohlansehnlichen äußeren Aspekt. So eine Art Marianne Willemer … So wie es Rilke geschah, dem die Freundin einen Wohnturm anbot. Aber einen Turm habe ich selber.
    «Und wo stammen sie her?»wurde ich im Rostocker Turm gefragt.

Nartum
Sa 14. Januar 1989
    Bild: Frau verlor ihr Kind/Sie entführte dieses Baby
    ND: Bildung eines Verbandes der Freidenker der DDR vorbereitet
     
    T: Die Russen kommen, ich weiß nicht, wo ich mich verbergen soll. Am Ende entscheide ich mich für eine Kneipe mit zwei Ausgängen.
    D Die Nienburger sind noch hier. Sie wollen irgendwie Erquikkung von mir; denken sie, ich besprühe sie mit warmem Wasser? Sitzen so trocken und zusammengesunken da. Das ist aussaugend.
Ging zwischendurch nach oben und legte mich still und feierlich aufs Bett.
    Die Ausbeute an Plankton bei einer solchen Gelegenheit ist erheblich. Ich denke manchmal, diese kleinen Geschichten interessieren keinen Menschen, aber mein Instinkt sagt mir: aufbewahren!
    Hildegard war in Rotenburg, sie hat in einem Ökogeschäft eingekauft. Der Laden nennt sich«VOLLKORN ÜBERLEBENS-MITTEL».
    In einer Zeit, in der Menschen wegen Überfettung ins Sanatorium gehen, werden uns Wirkstoffe und Nährwerte angepriesen. Steht uns das Wasser denn bis zum Hals?
    Im«Spiegel»ein Bericht über Massengräber der Stalin-Zeit. Es heißt, daß die Todesschützen der Erschießungskommandos noch lebten, die säßen auf Parkbänken und schauten spielenden Kindern zu. Oder«besuchen Konzerte».
    Weshalb sollten Todesschützen keine Konzerte besuchen?
    Augstein über die Französische Revolution. - Raddatz wunderte sich darüber, daß ich gegen Revolutionen bin. Er ist noch nie jemandem begegnet, der gegen Revolutionen ist, sagt er.
    Ah! Revolutionär sein, das gefällt ihnen. Mit Zigarette im Mundwinkel, Armbinde und Maschinenpistole vorm Bauch. Fremdartige Stahlhelme. Frauen die Haare abscheren und irgendwas in Brand stecken.
    Die Dänen 1945 in Schlosseranzügen mit Schulterriemen. - Hausdurchsuchung. Unbedingt Hausdurchsuchungen«durchführen». Und immer gehört das Erschießen dazu. Einsperren ist noch das mindeste.
    Wie in Frankreich, die Résistance: Im Garten unterm Apfelbaum, da sitzt der kommissarische Untersuchungsrichter: Umlegen! sagt er. Ein solcher Befehl wird ausgeführt.
    Hinterher dann:«Leider kam es zu Irrtümern …»
    Interessant in der Jahnn-Biographie Menschen erwähnt zu finden, die man persönlich kennt. Ein Reigen seliger Geister. Das quicke Leben dieser Leute, von denen einige schon tot sind. Künstlerbälle! - Fuchs! Rühmkorf! Fröhlich †! Fichte †!

Nartum
So 15. Januar 1989
    Welt am Sonntag: FDP: Untersuchungsausschuß zur Giftgasaffäre /BND-Kommission erhält neues Belastungsmaterial vom CIA/Vogel hält Kohl«Täuschung»vor
    Sonntag: Wir machen uns ein Bild. Zum Buch Maria Seidemanns über Rosa Luxemburg. Von Wolfgang Sabath
     
    Ich saß lange mit Hildegard am Kaffeetisch, so lange bis wir die Volkshochschulleute aufs Haus zustreben sahen.
    Wir rückten zusammen und sahen den Vögeln zu, wie sie sich von der Tanne zum Futterhäuschen hinunterfallen ließen. Die«gefiederten Gäste»schwirrten fort, als die Bildungsmenschen herbeikamen.
    Ich erklärte ihnen heute, wie ich schreibe und warum , wobei ich ständig daran denken mußte, daß eigentlich alles ganz anders ist. Zum Schluß verkaufte ich noch acht Ansichtspostkarten vom Haus. Das Stück 1 Mark. Mittags fuhren sie davon. Waren sie erquickt? Verjüngt? Wird aus ihnen was Großes werden? - Es ging kein Leuchten aus von ihnen, als sie vom Hofe schlurften.
     
    1999: Es hat sich später eine Frau gemeldet, die damals dabeiwar, es sei sehr schön gewesen.
     
    Studenten hatten sich für heute angesagt, aber sie erschienen nicht. Ich saß allein da mit zwei Liter Kaffee. Schade um meine Planktonfischerei. Ich hatte mir schon den Block zurechtgelegt. Nie wird irgend jemand ihre Geschichten abrufen, sie sind für immer verloren. - Sie wurden wahrscheinlich durch kritische Einwände der Professorenschaft abgehalten von dem Besuch bei diesem

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