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In Zeiten der Flut

In Zeiten der Flut

Titel: In Zeiten der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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1 - Der fliegende Leviathan
    Der Bürokrat fiel vom Himmel.
    Einen Moment lang lag Miranda blau und weiß unter ihm, die Eiskappen angeschwollen und kurz vor dem Schmelzen, und dann war er auch schon gelandet. Er fuhr mit dem Hochgeschwindigkeitszug über die Hochebene des Piedmont bis zum Heliostaten-Terminal in Port Richmond und nahm den ersten Flug nach außerhalb. Das Luftschiff Leviathan trug ihn über die Fallinie und die Wälder und Korallenhügel des Tidelands. Dort wimmelte es von hochspezialisierten Ökosystemen, die sich auf die magische Verwandlung durch die Große Flut vorbereiteten. In armseligen Dörfern und abgelegenen Siedlungen trafen die Menschen Vorkehrungen für die bevorstehende Evakuierung.
    Der Salon des Leviathans war menschenleer. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, blickte der Bürokrat trübsinnig aus den Heckfenstern.

    Der Piedmont war trüb und blau, am Horizont dräute eine Gewitterfront. Er dachte an die Wasserfälle, wo Fischadler in der Thermik schwebten und wo der Mittagsfluß sich in Kaskaden in die Tiefe ergoß und seinen Namen verlor. Drunten wimmelte das Tideland von Leben, wie blaugrüner wuchernder Schimmel in einer Petrischale. Der Gedanke an all den Schlamm und die Armut dort unten bedrückte ihn. Er sehnte sich nach der kühlen, sterilen Umgebung des Weltraums.
    Helle Lichtflecken trieben auf dem braunen Wasser, lange Reihen miteinander verbundener Hausboote wurden flußaufwärts geschleppt, da sich das reiche Bürgertum umsichtigerweise auf den Weg nach Port Richmond machte, solange die Frachtraten noch niedrig waren. Als er auf einen Fensterschalter drückte, sprang ihm der Dschungel entgegen, und die eben noch verschwommenen Bäume lösten sich in einzeln unterscheidbare Blätter auf. Der Schatten des Heliostaten wanderte am Nordufer des Flusses entlang, glitt über Schlammflächen hinweg, über schwankendes Schilf und knorrige Wassereichen. Auf einmal ließ sich eine aufgeschreckte Gruppe eichelähnlicher Polypen von einem tiefhängenden Ast fallen und verschwand im Schlick, während sich an der Wasseroberfläche braune Kreise ausbreiteten.
    »Wie das hier riecht«, meinte Kordas Surrogat.
    Der Bürokrat schnüffelte. Er roch den schwachen Geruch der Blumenerde in den Körben mit Hängepflanzen und den süßlichen Duft des Vogelkots in den Käfigen aus geflochtener Weide. »Sollten mal wieder saubergemacht werden.«
    »Romantisch sind Sie wirklich nicht.« Das Surrogat, das aussah wie ein trauriges Gerippe, stützte sich mit gestreckten Armen aufs Fensterbrett. Die flackernde Projektion von Kordas Gesicht wurde von der Glasscheibe schwach reflektiert. »Ich würde alles dafür geben, könnte ich an Ihrer Stelle dort unten sein.«
    »Was spricht dagegen?« fragte der Bürokrat mürrisch. »Sie sind der Vorgesetzte.«
    »Keine Respektlosigkeiten. Das ist nicht bloß wieder so ein Fall von Schmuggel. Das ganze Konzept technischer Kontrolle steht hier auf dem Spiel. Wenn wir auch nur eine selbstreplizierende Technik durchgehen lassen - nun, Sie wissen ja, wie gefährdet das Gleichgewicht eines Planeten ist. Wenn die Abteilung überhaupt eine Existenzberechtigung hat, dann liegt sie genau hierin begründet. Darum wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie Ihren Negativismus dieses eine Mal einschränken würden.«
    »Ich muß sagen, was ich denke. Dafür werde ich schließlich bezahlt.«
    »Ein weitverbreiteter Irrtum.« Korda trat vom Fenster zurück, hob eine leere Konfektschale hoch und besah sich die Unterseite. Seine Bewegungen waren hektisch und zerfahren, was jeden, der ihn näher kannte, gewundert hätte. Korda persönlich war schwerfällig und lethargisch. Die Surrogation schien eine verschüttete Persönlichkeit zum Vorschein zu bringen, einen übertrieben mäkligen kleinen Mann, der normalerweise unterdrückt wurde. »Die einheimische Keramik ist am Boden stets unglasiert, ist Ihnen das schon aufgefallen?«
    »Da steht sie im Brennofen drauf.« Korda machte ein verdutztes Gesicht. »Das ist ein Planet mit einer konstanten Schwerkraft. Man kann hier nicht in Schwerelosigkeit brennen.«
    Korda schüttelte verwundert den Kopf und stellte die Schale wieder zurück. »Wollen Sie noch mehr wissen?«
    »Ich habe um ...«
    »Amtsbefugnisse ersucht. Ja, ja, das Schreiben liegt auf meinem Schreibtisch. Ich fürchte, das ist vollkommen ausgeschlossen. Die Abteilung für Techniktransfer hat bei den örtlichen Behörden einen schweren Stand. Jetzt schauen Sie mich nicht so an.

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