Alkor - Tagebuch 1989
die Armenier gut lachen: Hilfsgüter werden die uns nicht schicken, wenn’s mal soweit ist.
Hilfsgüter haben uns nach dem Krieg die Quäker geschickt, und das ist in Vergessenheit geraten. Hiermit sei daran erinnert. Auch die Schweden, die ansonsten ja von ausgefressener Dummheit sind.
In ganz Moskau gibt es kein Waschpulver und keine Kernseife zu kaufen.«Zum Jahresende gab es kein Benzin, Tee, Zahnpasta, Rasierklingen, Regenschirme, Streichhölzer.»(«Spiegel»).«In vielen Bezirken der Sowjetunion sind Fleisch, Butter und Zukker nur auf Karten zu haben.»Daß es kaum Farbfernseher zu kaufen gibt, Kühlschränke, Waschmaschinen und Kassettenrekorder,
werden sie verschmerzen können. Von 87 Millionen Tonnen Kartoffeln erreichen nur sieben Millionen Tonnen den Verbraucher. Man vermutet, daß es sich um Sabotage gegen Gorbatschows Perestroika handelt. Ich denke, das ist ganz einfach Schlendrian.
Man lese nach im Buch von Weressájew,«Meine Erlebnisse im russisch-japanischen Krieg», über das Chaos damals, 1904. Ich seh’ noch den Russenbengel 1945 mit Brötchen Fußball spielen.
Dorfroman: Hildegard ist von ihrer bisherigen Hühner-Nomenklatur abgegangen, sie nennt einzelne Hühner neuerdings die Schlapphut-Else oder Gold-Marie.
Ich war es, der dem Hahn seinen Namen verpaßt hat:«Richard», und darauf werde ich immer stolz sein. Die Zutraulichkeit des Spezial-Huhns wirkt auf mich eher zudringlich. Um die andern, die scheuen, ist es mir mehr zu tun. Am liebsten ist mir noch der Hahn, der als wirklicher Charakter immer auf Distanz bleibt und dabei doch freundlich ist. Als ich neulich mit einem alten Hut in den Stall trat, warnte er die Hühner mit einem speziellen Laut, die aber zuckten nur aus Höflichkeit zusammen, die hatten mich längst erkannt. Vielleicht wollte er im Falle einer Katastrophe Recht behalten:«Ich hatte euch gewarnt»?
Hildegard:«Soll ich dir einen Apfel schälen?»
Ich:«Nein, laß ihn zu.»
23.30 Uhr im Bett. Herrlich. Die Jahnn-Lektüre ist äußerst interessant. Thomas Freeman heißt der Autor, ein angenehmer Angelsachse:«Das Erstaunlichste in seinem Gesicht war sein unförmiges, großes Fischmaul …», schreibt er über den Dichter.
Post: Heute schickte uns eine Dame, o Wunder!, Gedichte, die ich 1946 gemacht habe. Lustiges Zeug. Darunter auch ein prophetisches. - Was alles die Zeiten überdauert!
Nartum
Fr 13. Januar 1989
Bild: Todesengel Michaela/So spritzte ich sie nacheinander tot/ Wunder von Armenien/Nach 35 Tagen 6 geborgen
ND: Kollektive setzen verstärkt Schlüsseltechnologien ein
5.30 Uhr. - Ich wachte auf, weil ich mich nicht erinnern konnte, wem ich meine Romane gewidmet habe. Jetzt hab’ ich’s zusammen.
«Ein Kapitel für sich»ist Charly und dem«Popen»gewidmet (wie Mund sich selbst nannte). Charly hat aus reiner Menschenliebe sein Paket mit mir geteilt, und dem«Popen»habe ich weiß Gott viel zu verdanken. Beide haben sich zu der Widmung nicht geäußert. Da kam kein Dankeschön. Ist ja auch nicht nötig. Für ein Dankeschön braucht man sich nicht zu bedanken.
«Herzlich willkommen»ist Erich gewidmet, weil er mir 1956 einen Wintermantel schenkte!
Daß ich«Aus großer Zeit»Fritz Raddatz zugeeignet habe, trug mir den Haß des Feuilletons ein. Es gehört sich so, gegen F. J. zu sein.
Dorfroman: Hildegard schmeißt unten die Katzen raus, ich hol’ sie oben wieder rein. Sie wundert sich, wo all die Katzen dauernd herkommen.
Am Abend kam eine Volkshochschul-Gruppe aus Nienburg. Zum Anwärmen zeigte ich ihnen erstmal das Haus, und damit war schon mal eine Stunde rum. Dann gab’s eine kleine Lesung. Man kann ja nicht damit rechnen, daß solche Besucher je etwas von mir gelesen hätten. Ein junger Mann wollte wissen: Wieso ich das gemacht habe, ihnen das Haus gezeigt. - Ja, ganz richtig, warum hab ich’s gemacht? Mein eigner Museumswärter?«Damit Zeit herumgeht», darf man nicht sagen. Am besten wäre es, man schenkte größere Mengen Schnaps aus, dann liegen sie nach einer gewissen Zeit in der Ecke und röcheln, und man kann sich sacht entfernen. - Ich fischte ein wenig Plankton.
2000: Ich zeige noch immer das Haus. Jaja. Je mehr Bücher ich geschrieben habe, desto weniger haben sie gelesen.
Post: Eine 29jährige Dame aus Bayreuth, die ein sehr schreibwütiges Wesen sei, will mir eventuell einen Teil dessen überlassen, schreibt sie, was sie in den letzten fünf Jahren an Gedanken«schriftlich niedergelegt»hat.
Ja gern, liebe Dame,
Weitere Kostenlose Bücher