Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
Vom Netzwerk:
Esel vor orientalischen Quälereien gerettet hat.
    Katzen stehen uns Menschen näher.
    Ich würde die Graue gern mit in mein Schlafzimmer nehmen, zum Schlafen. Aber dann wacht man auf davon, daß sie einem ins Gesicht starrt. Außerdem traut man sich nicht, Licht anzumachen, um zu lesen. Als Kind nahm ich zu Weihnachten meine neuen Stiefel mit ins Bett.
    TV: Peppermint Frieden.

Nartum
Sa 6. Mai 1989
    Bild: Wolfgang Neuss tot / Halbnackt auf dem Fußboden
    ND: Wahlaufruf des Nationalrates fand tatkräftige Zustimmung
     
    Dorfroman: Die Blütenwollust der Natur müssen wir mit Gülle-Gestank büßen. Das läuft hier parallel. Einer der Bauern pflügt die ganze Nacht, mit Scheinwerfer und Musik. Ich sehe vom Klo aus, wie er wendet.
    Gestern Abend spürte Hildegard einen Trupp dänischer Jungen auf. Die wollten an der Straße ein Feuer entzünden und zelten! Aus Jütland kamen sie, per Rad, den ganzen Tag unterwegs, irgendwas Christliches, Jugendbündlerisches. Hildegard holte sie ins Haus, unter dem rasenden Gebell des armen Munterhundes. Und dann haben sie heiß geduscht und im Innenhof genächtigt. Ich beobachtete die Aktion durchs Treppenfenster. Ob sie einen Fön haben wollten, hat Hildegard die lieben Jungen gefragt. Nein danke, es geht schon so. - Ich raffte noch mehr Decken zusammen, meine gute, damit sie nicht frieren, stellte mich mürrisch, als ich sie ihnen hinwarf. Hildegard war glücklich darüber, daß ich ein so gutes Herz habe.

    In der Post ein Salatrezept:
    Man nehme Essig wie ein Geizhals
Öl wie ein Verschwender
Salz wie ein Weiser
und man mische wie ein Irrer.
    Und hinterher alles auskotzen.
    Salatblättchen, wenn sie sich am Gaumen festsetzen, oder in der Gurgel. Meine Mutter machte grünen Salat mit Buttermilch an, das waren noch Zeiten. In Bautzen erzählte einer, die Mutter hätte Salat mit Speck gekocht. - Salat kochen? Das kann doch wohl nicht der Sinn der Sache sein?
    «Rapunzel-Salat»- darunter hat man sich auch wer weiß was vorgestellt.
    Kafkas Reisetagebuch, wie er die Sonnenanbeter und Körnerfresser schildert. Wie er mit einer Horde Mädchen Karussell fährt. So was ginge heute nicht mehr, da kriegte er sofort einen Prozeß an den Hals. Der Zigarettenrauch der dänischen Jünglinge dringt herauf. Aus dem wildromantischen Abenteuer, das sie sich im Land der Richter und Henker erwarteten, ist nichts geworden. Man hat sie mit Kaffee und Butterbroten erquickt.

Nartum
So 7. Mai 1989
    Welt am Sonntag: Schwierige Verstimmung mit USA im Raketenstreit /Bush unnachgiebig / Keine Einigung in Sicht / Bonn wirft Washington Indiskretion vor
    Sonntag: Der permanente Optimist. Vom Kulturbund nominiert: Kreistagskandidat Peter Poprawa aus Ebersbach bei Löbau. Von Peter Thöns
     
    Mairegen! Ich stelle mir vor, wie sich die grünen Giftkörner in der Ackerkrume unter der Nässe auflösen und allmählich ins Grundwasser sickern. Und dann sehe ich mich, wie ich mich im
Bett unter Krämpfen winde. Dafür haben wir aber auch saftige Radieschen auf dem Tisch.
    Gestern kam eine Schulklasse aus Burgfeld bei Hannover. Sie schliefen sogar bei uns! Ich fotografierte einige. Ich gab sozusagen mein Letztes, ging freundlichst und gut gelaunt auf alles und jeden ein, und dann kamen sie mit den sonderbarsten Sachen. Warum ich in meinen Büchern so viel Russenfeindliches geschrieben hätte. Diese Frage wurde von einer Schülerin gestellt, die selbst gar nichts von mir gelesen hat. Sie kam so unerwartet, daß ich ins Stottern geriet. Ich dachte an die Flucht-Berichte im Archiv und an Bautzen und versuchte, davon zu erzählen.
    Eben erst denke ich, daß ich in meinen Büchern ja gar nichts Negatives über die Russen gesagt habe. - Ich denke auch: So dämlich wie diese Schüler können nur niedersächsische Schüler (innen) sein, in Bayern könnte einem so etwas nicht passieren. - Ich wurde schließlich so wütend, daß ich den Besuch abbrach. D. h., ich ging einfach ins Bett. Und heute früh hab’ ich sie grußlos ziehen lassen.
    Schwilk im«Rheinischen Merkur»meint, ich sei Deutschlands penibelster Dichter. Komplimente nimmt man in jeder Form entgegen und jederzeit. Als Motto (des kollektiven Tagebuchs von 1943-1948) stellt er sich einen Satz von Conrad Ferdinand Meyer vor:«Eine Weile gleitet das Leben vorbei als ein unverständliches Murmeln.»
    «Walter Kempowski hat dieses Mammut-Opus wie einen Riegel zwischen sich und die Gegenwart geschoben. - W. K.: Vielleicht ist das nur ein riesiger Grabstein, mit dem man

Weitere Kostenlose Bücher