All die schoenen Toten - Ein Inspektor-Jury-Roman
irgendein Schälchen oder einen Napf für das Wasser hätte. Sie musterte ihn kaugummikauend, als hätte sie keine Ahnung, wozu ein Napf da war. Als er Suppe erwähnte, kam Leben in ihren Blick, und sie sah sich nach etwas um. Er bezahlte, nahm die Tüte und ging.
Der Hund lag immer noch an derselben Stelle, um ihn herum sammelten sich Schatten. Jury begann mit dem Wasser. Er goss ein wenig davon in den Napf und stellte ihn dem Hund direkt vor die Nase. Als der anfing, erst zu trinken und dann gierig zu schlürfen, stellte Jury ihm den Napf auf die kleine Stufe vor dem Eingang. Der Hund trank gierig weiter. Jury zerteilte das Fleisch in kleine Stückchen und legte sie auf eine Serviette. Der Hund beschnüffelte sie ein wenig, wollte aber nicht fressen.
Dieses mangelnde Interesse am Futter beunruhigte Jury. Der Hund brauchte einen Tierarzt und zwar ziemlich schnell. Er holte sein Handy heraus und hoffte, dass die Batterie noch nicht völlig leer war. War sie aber. Verdammt! Dann fiel ihm der Taxifahrer wieder ein, der ihn in die Bidwell Street gebracht hatte. The Knowledge . Er hob den Hund hoch, nahm Napf und Wasserflasche und steckte sich das in ein paar Papierservietten eingewickelte Fleisch in die Tasche seines Regenmantels.
Der Hund wog sehr wenig und war leicht zu tragen. An der Clerkenwell Road fand Jury ein freies Taxi und erkundigte sich beim Fahrer nach einer Tierklinik oder Tierarztpraxis, die zu dieser Abendstunde möglicherweise noch geöffnet hatte.
»Ist Ihr Hund krank geworden?«
»Ja, sehr krank.« Tatsächlich schien der Hund die ihm aufgezwungene Fahrt in einem schwarzen Taxi gar nicht zu bemerken, reagierte jedenfalls nicht.
»Keine Sorge, Mann. Wir finden schon eine. Auf die Schnelle fällt mir die in Islington ein, an der North Road.«
Die war, wie sich herausstellte, zwar geschlossen, doch wusste der Fahrer noch eine andere, von der er sich sicher war, dass sie durchgehend geöffnet hatte.
Jury hoffte es sehr.
Gott sei Dank fand der Fahrer problemlos dorthin. Die Lichter der Tierarztpraxis brannten hell in der Dunkelheit.
Jury bedankte sich bei dem Taxifahrer, gab ihm ein üppiges Trinkgeld und lobte ihn für seine Ortskenntnis.
»Na, ohne wär’n wir ein ganz schön trauriger Haufen. Na dann, Gute Nacht.«
Jury sah den Mann davonbrausen, der vermutlich gar nicht wusste, wie vielen Leuten er schon geholfen hatte und noch helfen würde, mit dem Stadtplan von London im Kopf.
Das Mädchen am Empfangsschalter war viel zu jung für ihre griesgrämige Miene. Um den Hund müsse sich sofort jemand kümmern, sagte Jury. Im Wartezimmer saßen mehrere Leute, und das Mädchen zeigte sich nicht gerade hilfsbereit.
»Nehmen Sie Platz.« Sie hob den Blick nicht von ihrem Kreuzworträtsel.
»Dem Hund geht es ziemlich schlecht, ich …«
Nun sah sie doch hoch. »Warum warten Sie dann so lang, bis Sie ihn herbringen?«
»Weil ich sämtliche Türeingänge in Clerkenwell durchforsten musste, bevor ich einen mit einem kranken Hund entdeckt habe.« Jury machte sich nicht die Mühe, seine Stimme zu dämpfen. Hinter sich hörte er leises Kichern.
Das Mädchen war es nicht gewöhnt, dass jemand Widerworte gab, schließlich war sie die Herrin über den Terminvergabeplan. Sie bedachte Jury mit einem frostigen Blick und verschwand durch eine Tür.
Jury setzte sich mit dem Hund neben eine ältere Frau im adretten schwarzen Kostüm, die hoffnungsvoll immer noch gute Miene machte. Als sie dem Hund nach einer Weile die Hand auf den Kopf legte, öffnete dieser mühsam die Augen. »Armer Kerl. Haben Sie ihn wirklich in einem Türeingang gefunden?«
Jury lächelte amüsiert. »Ja, in Clerkenwell.«
»Da findet sich ja alles Mögliche.«
Er lachte. »Ich weiß, was Sie meinen.«
»Sie haben übrigens recht. Dem scheint es in der Tat ziemlich schlecht zu gehen. Ist aber ein schöner Hund, wirklich. Die Rasse kenne ich gar nicht.«
Das Mädchen vom Empfang stand inzwischen im Durchgang zu den hinteren Räumen. »Mrs. Bromley!«, rief sie in einem Ton, als wollte sie jegliche freundliche Interaktion mit diesem Mann hintertreiben. »Silky kann jetzt rein zum Doktor.«
»Meine Katze«, flüsterte sie Jury zu. Doch anstatt aufzustehen, rief Mrs. Bromley ihr zu: »Der Herr hier kann meinen Termin haben. Sein Hund hat einen Arzt nötiger als meine Silky.«
»Aber Dr. Kavitz …«
Die Dame erhob sich. »Maureen …« Obwohl sie bloß knappe eins sechzig maß, war klar, dass Maureen sich mit ihr nicht
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