All the lonely people
ist beides nicht gegeben.
Besonders gravierend erlebte ich das bei einem Klienten, dessen Vater Alkoholiker war. In nüchternem Zustand war der Vater ein umgänglicher Mann, doch sobald er ein paar Flaschen Bier getrunken hatte, wurde er unberechenbar. Mal jammerte er voller Selbstmitleid, wie übel ihm doch das Leben mitspielte, mal beschimpfte er seinen Sohn höhnisch als Versager. Die Mutter beklagte sich zwar, war aber zu schwach, um sich gegen ihren Mann durchzusetzen.
Ähnliche Unsicherheiten erlebte eine Klientin, deren Mutter unter Depressionen litt und ständig mit Selbstmord drohte. Mehrmals musste die Tochter mit ansehen, wie ihre Mutter gerade auf der Bahre in den Notarztwagen getragen wurde, als sie aus der Schule kam.
Auch scheinbar harmlose Begebenheiten wie häufige Umzüge können sich auswirken. Der Vater einer Freundin von mir war Offizier bei der Bundeswehr. Bei jeder beruflichen Versetzung musste die Familie umziehen. Bis zu ihrem zehnten Lebensjahr hatte meine Freundin mit ihren Eltern fünf Mal den Wohnort gewechselt. Das bedeutete |26| jedes Mal Abschied von Schulkameradinnen, Einleben in ein neues Umfeld. Sie hatte keine Gelegenheit, wirklich Wurzeln zu schlagen.
Wenn wir als Kinder eine unsichere Welt erleben, schließen wir daraus, dass wir völlig auf uns selbst angewiesen sind. Wir verlernen, uns anderen anzuvertrauen oder uns Hilfe zu suchen. Wir entwickeln unsere tüchtige, selbstständige Seite und bauen damit einen emotionalen Schutzwall um uns auf.
Sind Sie überfordert worden?
F alls Sie in der Gegenwart Mühe haben, sich auf andere einzulassen, kann das auch daran liegen, dass Sie als Kind überlastet wurden. Sie mussten Leistungen erbringen, die Ihrem Alter einfach nicht angemessen waren. Ich habe tatsächlich schon gehört, dass ein sechsjähriges Mädchen regelmäßig für seine beiden kleineren Geschwister kochen musste. Besonders Kinder mit kranken Eltern oder einem behinderten Geschwister werden oft intensiv in deren Betreuung einbezogen, müssen zu viel Verständnis zeigen und verlieren auf diese Weise ihre Unbeschwertheit.
Ein Kollege erzählte mir von seiner Kindheit. Sein jüngerer Bruder war Epileptiker. Die Eltern konzentrierten sich ganz auf das kranke Kind, während er für alles selbst verantwortlich war. Mit zehn Jahren musste er sich sogar alleine fürs Gymnasium anmelden. Ich konnte mich sehr gut in ihn einfühlen. Ich war dreizehn Jahre alt, als meine Schwester Silke zur Welt kam. Sie hatte das Down-Syndrom, damals nannte man das »Mongolismus«. Keine Frage, dass ich meine Eltern voll unterstützte. Zwischen den Schularbeiten und der Aufgabe, auf meine geistig und körperlich behinderte Schwester aufzupassen, gab es für mich nicht mehr viel von dem, womit sich Teenager normalerweise beschäftigen.
Überfordert wird ein Kind auch dann, wenn ein Elternteil es zum Vertrauten macht. Wo sich die Verhältnisse zwischen Eltern und Kindern umkehren, wo das Kind den Vater oder die Mutter stützen und beschützen muss, ist es überlastet. So musste sich die kleine Emily schon mit vier Jahren anhören, welche Probleme ihre Mutter mit ihrem |27| unzuverlässigen Vater hatte. Der zehnjährige Tobias war gezwungen, nach der Scheidung der Eltern bei seinem Vater das Unterhaltsgeld einzutreiben, weil seine Mutter sich dazu nicht in der Lage fühlte.
Kinder, die überfordert wurden, durften nicht nein sagen. Sie wurden früh zur Solidarität verpflichtet und zogen daraus die Lehre: »Einen anderen Menschen lieben heißt sich selbst aufgeben.«
Wenn Sie ein überfordertes Kind waren, dann ist es nur zu verständlich, dass Sie sich heute nicht mehr auf potenziell vergleichbare Situationen einlassen möchten. Das könnte ja bedeuten, dass man Sie wieder bis an die Grenze Ihrer Belastbarkeit benutzt.
Wurden Sie innerlich vergiftet?
D ie meisten Eltern sagen gelegentlich etwas Abwertendes zu ihren Kindern. Wenn unser Sohn Felix als kleiner Junge zum x-ten Mal seine Mütze in der Schule liegen ließ, dann fauchte ich auch schon mal entnervt: »Du bist wirklich total schlampig!« Gelegentliche Ausrutscher sind noch nicht grundsätzlich als verbale Misshandlung einzuordnen, auch wenn es selbstverständlich besser wäre, sie zu lassen. Anders ist es, wenn ein Kind permanenten Demütigungen ausgesetzt ist. Die amerikanische Psychotherapeutin Susan Forward sagt es in ihrem Buch
Vergiftete Kindheit
ganz deutlich: »Es stellt eine Misshandlung dar, wenn man ein Kind häufig
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