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All unsere Traeume - Roman

All unsere Traeume - Roman

Titel: All unsere Traeume - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Cohen
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Die SMS war von Ben.
    Wir vermissen dich.

Natürlich
    D ie Tür von Nummer 4 sah wie all die anderen in dem Wohnblock aus – Buchenholz mit goldenen Ziffern und einem kleinen Sicherheitsschloss. Claire klopfte.
    Ben machte sofort auf. Er war unrasiert und noch zerzauster als gestern. Er schien weder geduscht noch geschlafen zu haben.
    Er sah unglaublich glücklich und gelassen aus. So hatte er auf ihrer Hochzeitsreise ausgesehen, als sie nac h Venedig gefahren und abends lange unterwegs gewesen waren, um sich die Lichter auf den Kanälen anzusehen, und als sie sich die ganze Nacht hindurch geliebt hatten.
    »Claire«, sagte er, und sein Gesicht verzog sich zu einem müden Lächeln. »Ich bin so froh, dass du da bist.«
    »Ich … habe deine Nachrichten erhalten.« Es hatte eine halbe Stunde gedauert, sie sich der Reihe nach anzuhören. Außerdem eine SMS für jede Stunde, die das Kleine auf der Welt war.
    »Gut. Komm rein.« Er trat zurück, und da erst sah Claire, dass er das Hemd halb aufgeknöpft hatte und dass das Baby darin an seine nackte Brust geschmiegt war. Das Hemd bildete eine Art Beutel. Das Baby hatte die Augen geschlossen, seine Hände an seinem Gesicht zu Fäusten geballt. »Es ist gut für ihn, Hautkontakt zu haben«, erläuterte Ben. »Das hat mir die Hebamme gesagt.«
    »Ich weiß«, sagte Claire. »Ich habe darüber gelesen.«
    »Ich denke ständig, meine Brusthaare könnten ihn kitzeln und er muss niesen. Aber es scheint ihn nicht zu stören. Es gefällt ihm. Er will gehalten werden.«
    »Hast du überhaupt geschlafen?«
    »Ein bisschen. Vielleicht eine Stunde. Ich weiß, dass ich es später bereuen werde, aber ich bin zu aufgedreht.« Lachend rieb er sich die Stirn. »Ich will nichts verpassen. Was albern ist, denn die meiste Zeit hat er geschlafen. Ich habe ihm bloß beim Schlafen zugesehen.«
    Das Baby holte tief Luft und atmete dann aus. Seine Augen waren runzelig, seine Augenbrauen schwache Bleistiftstriche. Claire verstand gut, dass Ben ihm stundenlang beim Schlafen zugesehen hatte. Er hatte es beschrieben, während einer seiner Telefonnachrichten, mit gedämpfter Stimme. Als sei die Erfahrung so wunderbar, dass er es nicht ertrug, sie nicht mit ihr zu teilen.
    »Du kannst bestimmt einen Kaffee vertragen«, sagte sie.
    »Herrgott, ja. Mir ist gar nicht in den Sinn gekommen, mir welchen zu kochen.«
    »Gegessen wirst du wahrscheinlich auch nicht haben.« Die praktische Seite, die unmittelbar bevorstehende Aufgabe, erlaubte es ihr, den Blick von dem Baby abzuwenden und zu bemerken, dass sie immer noch in der winzigen Diele zwischen Wohnungstür und Wohnzimmer standen. Sie trat ganz in die Wohnung und ging in die Küchenzeile, um Wasser aufzusetzen. Ben folgte ihr.
    »Romily hat mir etwas abgepumpte Milch mitgegeben«, sagte sie.
    »Ich weiß nicht, ob ich ihn wecken oder schlafen lassen soll.« Ben sah von dem Baby zu ihr und wieder zurück. »Was meinst du?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Herrgott.« Ben ließ sich in einen Sessel sinken. »Es ist so eine Verantwortung. Jede Entscheidung liegt ganz bei einem selbst, und sie hat Auswirkungen auf diesen kleinen Menschen. Ich glaube nicht, dass ich bisher wirklich zu schätzen wusste, wie enorm das alles ist.«
    »Wie … Wie heißt er?« Sie versuchte, mit neutraler, fröhlicher Stimme zu sprechen. Es war eine Frage, die man einem Fremden stellte.
    »Ich weiß es nicht. Das ist noch so eine Verantwortung.«
    Sie dachte an all ihre Namensdiskussionen im Laufe der Jahre. Sie hatten mit Namen um sich geworfen, als ginge es bloß um Wörter und nicht um die Identität eines Menschen.
    Claire holte Becher vom Regal. Er bewahrte den Kaffee am gleichen Ort auf wie sie zu Hause, im Küchenschrank links neben dem Herd. Sie löffelte das Pulver in die Cafetière, reichlich, wie gewöhnlich.
    Ben sah ihr zu. »Du hast also meine Nachrichten erhalten?«, fragte er. »Du hast nicht zurückgerufen.«
    »Ich habe mein Handy in Romilys Wohnung liegen lassen. Ich … dachte, du wärst dort.«
    »Nein. Ich möchte nicht mit Romily zusammen sein. Ich möchte mit dir zusammen sein. Ich war so durcheinander wegen der Liebe zu diesem Baby, dass ich nicht wusste, was ich denken sollte. Und außerdem hatte ich Romily gegenüber ein schlechtes Gewissen. Aber die Trennung von dir hat mir klargemacht, dass mein Wunsch nach einem Baby so groß gewesen ist, dass ich ganz vergessen habe, dass ich es mit dir haben wollte. Es tut mir leid, Claire.«
    Das Baby regte sich.

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