All unsere Traeume - Roman
Ben legte es in seinem Hemd zurecht.
Sie erinnerte sich daran, wie Ben mit Posie herumgegan gen war, als diese noch ein Säugling war. Er hatte sie sich mit dem Bauch auf den Arm gelegt. Es war eine Haltung, die ihre Koliken linderte. Claire erinnerte sich noch an das Gefühl, wie ihr Herz dahingeschmolzen war und sie gedacht hatte: So wird er es eines Tages mit unserem eigenen Kind machen.
»Er ist wach«, sagte Ben. »Möchtest du ihn halten?«
Claire wich zurück. »Ich kann nicht, Ben. Noch nicht.«
»Aber bald?«
»Ich weiß es nicht.« Sie ging zur Tür und legte die Hand auf den Knauf. »Jedenfalls hast du nun die Milch. Vergiss sie nicht.«
»Komm später wieder«, schlug er vor. »Oder morgen.«
Das Gesicht des Kleinen lugte aus dem Schlitz in Bens Hemd. Er blickte zu seinem Vater auf.
»Mache ich«, antwortete sie.
Romily ließ sich ächzend auf alle viere nieder, um unter dem Sofa nachzusehen, und zog Posies Schultasche hervor. Wollmäuse hafteten daran. Romily schüttete den Inhalt aus: Hausaufgabenordner, Lektürebuch und ein zerknitterter Umschlag.
»Pose?«, rief sie. »Du hast mir gar nicht gesagt, dass du einen Brief bekommen hast?« Über das Thema hatten sie ausführlich gesprochen.
»Was?« Posies Stimme klang gedämpft, als wäre sie ebenfalls irgendwo aufTauchstation gegangen. Romily öffnete den Briefumschlag.
Es war eine Einladung zu einer Weihnachtsfeier bei Emily und Daniel am heutigen Tag. Am unteren Rand stand in krakeliger Handschrift: Liebe Posie, bitte bring deine Mum mit zur Feier. Es gibt Schokolade. Liebe Grüße, Eleanor
Romily sprang auf. Es war das erste Mal seit langer Zeit, dass sie das getan hatte, und es fühlte sich gut an. Allmählich kam sie wieder zu Kräften. »Posie!«, rief sie. »Beeil dich! Wir müssen zu einer Feier.« Sie sah nach der Uhrzeit auf der Einladung. »Und zwar jetzt!«
Posie kam langsam aus ihrem Zimmer geschlichen. Sie trug ein Prinzessinnenkleid und eine Wollmütze. »Was für eine Feier denn?«, fragte sie.
»Emily veranstaltet eine Weihnachtsfeier. Die Einladung war in deiner Tasche.«
»Oh. Aber ich kenne Emily gar nicht richtig.«
»Das ist egal. Du brauchst Freunde, Posie. Echte Freunde. Du musst Zeit mit gleichaltrigen Kindern verbringen.«
»Ich glaube nicht, dass ich das möchte.«
»Du hast die Wahl. Du kannst auf eine Feier gehen, oder ich kann dir dabei zusehen, wie du dein Zimmer aufräumst, und zwar richtig aufräumst.«
Posie malte mit dem Zeh Kreise auf den Teppich. »Na gut, dann gehen wir eben auf die Feier.«
Die Adresse war nur zehn Gehminuten von ihrer Wohnung entfernt und bestand aus zwei Reihenhäusern, die beide genau gleich mit Weihnachtsschmuck dekoriert waren. Romily klopfte an die blaue Tür, Nummer 14, und die rote Tür von Nummer 16 öffnete sich. Eleanor winkte sie mit einem breiten Lächeln herein.
»Ich freue mich ja so, dass ihr kommen konntet!«, sagte sie, während sie ihnen die Mäntel abnahm sowie die Flasche Orangensaft, die Romily in ihrem Kühlschrank gefunden hatte. »Eigentlich wollte ich vorbeischauen und sichergehen, dass ihr die Einladung bekommen habt, aber ich war mir nicht sicher, wo ihr wohnt. Posie, die Kinder sind nebenan und basteln Weihnachtsschmuck. Romily, komm mit in die Küche zu den Erwachsenenaktivitäten.«
Die Reihenhäuser waren im Innern miteinander verbunden, und die Küche nahm den Platz dessen ein, was ansonsten ein ganzes Wohnzimmer gewesen wäre. Der Tisch war mit Gebäck beladen, und es wimmelte von plaudern den Menschen mit Gläsern in den Händen. Es duftete nach Zimt und Glühwein, und im Hintergrund ging ein großer Mann mit einer Flasche in der einen Hand und einem Teller in der anderen herum.
»Trinkst du was?« Eleanor zögerte über einem Bottich mit Glühwein und einem anderen voller Kakao. Romily schüttelte den Kopf, und Eleanor schöpfte ihr einen Becher Kakao.
»Du hast das Baby bekommen!« Eine der Mamas aus der Schule schlich sich an Romily heran. »Das ist wunderbar! Wie geht … Ich meine, wie geht es den Eltern mit ihm? Hast du was von ihnen gehört?«
»Sie machen ihre Sache anscheinend ziemlich gut«, erwiderte Romily.
»Wir finden dich so mutig«, sagte eine andere Mama . Eleanor reichte Romily mit einem Zwinkern ihren Becher.
»Nicht mutig«, widersprach Romily. »Im Grunde irgend wie idiotisch. Ich hatte vergessen, wie hart es ist, schwanger zu sein.«
»Ich habe gehört, du arbeitest im Museum?«, mischte Eleanor sich geschickt
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