All unsere Traeume - Roman
ein. »Wir finden es dort so toll. Daniel geht jede Woche hin, um den ausgestopften Dachs zu streicheln.«
Von allen Seiten erhob sich Lob für den Dachs.
»Er heißt Gavin der Dachs«, eklärte Romily. Sie tippte sich an die Nase. »Insiderwissen.«
Nach einer Weile, als Posie nicht auftauchte, weil sie wie gewöhnlich vorzeitig nach Hause wollte, machte sich Romily auf die Suche nach ihr. Posie saß neben Emily auf der Treppe, die ins Obergeschoss führte. Sie hatten die Hände vor den Augen und zählten.
»Verstecken?«, fragte Romily.
»Wir sind beschäftigt.«
Kichern aus dem ersten Stock. »Wir kommen!«, rief Emily, und sie und Posie ließen beide die Hände sinken und standen gleichzeitig auf.
Romily konnte nicht anders. Sie nahm Posie und umarmte sie.
»Ich bin deine Mutter, und ich liebe dich«, sagte sie ihr, das Gesicht in ihren Haaren vergraben.
»Ja, ich weiß . Das sagst du ständig. Geh zurück zu den Eltern, wo du hingehörst.«
Doch Romily hielt sie noch einen Augenblick länger fest, während Emily schon einmal die Treppe hochging. »Ist Emily jetzt deine Freundin?«, flüsterte sie.
»Ich weiß nicht. Sie ist in Ordnung. Weißt du, dass sie zwei Daddys hat? Einen, der sie wirklich gemacht hat, und einen, der bei ihr wohnt? Ich habe ihr von Dings erzählt, und sie will ihn bei Gelegenheit einmal besuchen kommen.«
»Das klingt klasse.«
Posie gab ihr rasch einen Kuss zurück, und dann rannte sie die Treppe hinauf, ihrer Freundin hinterher.
Man bringt Kinder auf die Welt, damit sie von einem weggehen , dachte Romily. Damit sie aufwachsen und ihr eigenes Leben leben mit Menschen, die sie sich selbst aussuchen. Es ist natürlich. Und dass es wehtut, ist auch natürlich.
Ein Fenster nach dra u ß en
A n Heiligabend war der Schnee in Claires Garten bis auf vereinzelte weiße Inseln geschmolzen, und in Brickham war er schon ganz fort. Als Claire Bens Wohnungstür erreichte, die Einkaufstüten und die winzige Tanne in einem Blumentopf balancierend, stieß sie auf einen Stapel eingepackter Geschenke, die auf dem Fußabtreter warteten. Sie erkannte Posies Handschrift auf den Kärtchen wieder.
Durch die Tür drang das Geschrei des Babys.
Ben hatte ihr einen Schlüssel gegeben. Sie öffnete die Tür und schlüpfte hinein. Die Wohnung sah aus, als sei darin eine Bombe explodiert. Sämtliche Lampen brannten, und im Fernsehen liefen Weihnachtslieder. Inmitten der Trümmer lief Ben mit dem Kleinen auf der Schulter auf und ab, klopfte ihm den Rücken und schaukelte sanft seinen Körper.
»Er hat die ganze Nacht geschrien«, sagte Ben. »Ich weiß nicht, was ich machen soll. Fast hätte ich in der Notaufnahme angerufen. Vielleicht stimmt etwas nicht mit ihm.«
Das Gesicht des Babys war rot, zu einem festen kleinen Ball aus Zorn mit einem offenen zahnlosen Mund verzogen.
Claire stellte die Tüten ab: einen kleinen Truthahn, Kartoffeln, Gemüse. Sie fand nicht, dass Ben auf sein Weihnachtsessen verzichten sollte. Ob sie es ihm kochen oder ob sie zu ihren Eltern nach Hause fahren würde, hatte sie noch nicht entschieden. »Hat er Fieber?«
»Ich glaube nicht. Die Hebamme war gestern da, und sie hat gesagt, dass es ihm gut geht. Er hat gegen zwei Uhr früh zu weinen angefangen, und seither hat er nicht aufgehört. Nichts hilft. Er will nicht trinken, er will nicht schlafen, er schreit einfach nur.« Ben zog Kreise durch die Wohnung, machte wippende Schritte, wich Windeln und Kuscheltieren aus. Im Fernsehen lief »Stille Nacht«.
In der Wohnung roch es nach abgestandenem Kaffee und ausgespuckter Milch. Die Heizung lief auf Hochtouren. Ben trug dieselbe Kleidung wie gestern. Oder, wenn sie es sich recht überlegte, wie vorgestern. »Wann warst du das letzte Mal draußen?«, fragte sie.
»Draußen?«
»Lass uns einen Spaziergang machen. Bei Posie hat das früher immer funktioniert.«
»Ist es nicht zu kalt?«
Sie kramte in den unordentlichen Kleiderstapeln herum, fand Strümpfe, eine Mütze, einen Strampler, das grüne Jäckchen und die winzigen weißen Schühchen, die sie mit Romily gekauft hatte. »Hier«, sagte sie. »Zieh ihm das an. Ich packe eine Tasche zusammen.«
Ihr war aufgefallen, dass Ben Übung darin bekommen hatte, das Baby umzuziehen, doch da der Kleine schrie und seine Glieder anspannte, dauerte es eine Weile, bis alles saß. Als er fertig war, hatte Claire bereits die Trage gefunden und entwirrte die langen Gurte. »Ich schnall sie dir um, damit du ihn tragen
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