Allawa
über einen Hügel wanderten. Das blaue Band war breiter als mein Arm, breiter als sein Kopf - sicher lachen sie mich aus.
»Es hat immerhin einen ganz hübschen Rhythmus«, sagte mein Vater.
»Rhythmus« klang nach Lob, »immerhin« nicht. Warum immerhin, wo es doch überhaupt schön ist? dachte ich unsicher.
Sobald ich erwachsen wäre, wollte ich Harro vor unseren Leiterwagen spannen und mit ihm durch die ganze Welt fahren, weit weg von allen. Sein Geschirr mußte schöner sein als das von den Milchkarrenhunden; mit blanken Nägeln beschlagen. Zu essen hätten wir genug, denn ich war ein Räuber. Wenn Harro müde war, schliefen wir im Wald. Wir fuhren immer bergab, damit er nicht zu schnell müde wurde.
»Vater, wo kommt man hin, wenn man immer bergab fährt ?«
»Eines Tages käme man zum Meer, wenigstens theoretisch. «
Also gut, dann fahren wir eben theoretisch oder wie das heißt zum Meer. Plötzlich schluckte es in meinem Hals. Was sollten wir dann zuunterst machen? Wenn es nirgends mehr weiterging? Ich sah zweifelnd auf Harro, der noch gar nichts davon wußte. Er schlief; über jedem Auge hatte er einen goldenen Tupfen und vier schwarze Borsten als Brauen. Vielleicht läßt man ihn besser zu Hause. Aber dann kann ich doch auch nicht ans Meer, ohne Hund, ganz allein.
Als ich in die Schule kam, begleitete mich Fräulein Anni mit Harro und holte mich um elf Uhr wieder ab. Damit verlor sie viel Zeit; viermal zwanzig Minuten, und oft noch mehr, weil sie an ihren Verwandten hängenblieb, die am Weg wohnten. Konnte er mich nicht vielleicht allein hinbringen?
Man mußte es versuchen. Vor dem Schulgarten sagte sie: »Geh heim .« Sein Blick antwortete, daß ihn unnütze Worte langweilten: heim, wohin sonst, tun wir ohnedies. Er trottete achselzuckend voraus. Ein paar Tage wiederholte Fräulein Anni den Befehl, dann ich, dann blieb sie zum erstenmal an ihrer Arbeit.
Es war wunderbar, mit ihm allein loszuziehen. An der Kreuzung vor der Schule sagte ich im richtigen Erwachsenen ton: »Sitz !« , sah fest in seine Bernsteinaugen, sagte: »Geh heim!« Er stand auf, zögerte, lächelte, trottete ab. Kaum sieben Minuten später erschien er zu Hause.
Für so einen Weg, allein mit einem großen Hund, lohnte es sich schon, zur Schule zu gehen. In Wirklichkeit wanderten wir durch die Wüste in Afrika; ich brauchte ihm nur nachzugehen, er wußte, wo man Wasser findet. Oder durch die Schneewüste am Nordpol; er paßte auf, daß keine Eisbären kämen.
Ein Onkel sagte bei Tisch, Schäferhunde oder überhaupt Hirtenhunde eigneten sich besonders für solche Aufgaben. In Schottland liefen sie auf ein Wort kilometerweit allein heim, und ein Berner Sennenhund bringe zwei Stunden weit Essen aufs Feld, und andere gingen mit einem Korb einkaufen. Und Meldehunde im Krieg, und Sanitätshunde erfüllten schwierige Aufgaben...
Ich hörte staunend zu. Lauter Schulaufgaben für Hunde. Ganz anders, als wenn Harro mit mir geht und alles weiß. Es klingt gar nicht so, wie Harro ist. Ich weiß nicht —
» Iß , iß «, flüsterte Fräulein Anni.
Eines Morgens regnete es. Harro kam nicht nach Hause. Fräulein Anni fand ihn um elf bei ihren Verwandten, wo er auf getaucht war — vielleicht um im Trockenen zu sein oder sich einen Schirm zu borgen. Und vielleicht hatten sie ihn gefüttert, denn von da an ging er immer nur bis zu ihnen zurück. Er ließ sich nicht mehr umstimmen. Mein Vater sagte, unser Schäferhund eigne sich besonders für die Aufgabe dieses Versuchs, das hieß, erklärte er mir, daß man es aufgeben mußte.
Wenigstens durfte ich weiterhin allein zur Schule gehen. Fräulein Anni holte mich nur ab. Ich stieß einen Stein vor mir her, das war der Hund, der ein paar Schritte rannte und wieder stehenblieb. Ein kleiner Foxterrierstein ärgerte mich; ein Bernhardinerstein war sehr treu, wartete auch den ganzen Morgen auf mich an der Kreuzung. Aber auf dem Heimweg sagte Fräulein Anni: »Laß doch diesen Stein liegen, wie sieht das aus! Und wir kommen ja nicht vom Fleck .«
Eines Nachmittags in meinem dritten Schuljahr gingen Harro und ich ein Stück weit mit Fräulein Anni, die wieder irgendwelche Verwandte besuchen wollte. Auf halbem Weg nahm sie ermahnungsreichen Abschied — ja nicht von der Leine lassen, sofort heim — und verschwand um die Ecke.
»Also komm«, sagte ich, worauf er sich setzte.
»Komm schon .« Ich zog stehend, er sitzend, Pfoten aufgestemmt, Genick versteift. Am Ende der gespannten Leine hatte ich
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