Allawa
meine Mutter.
Daß er Katzen jagte, war uns recht, weil sie auf Vögel und Küken lauerten. Wir selbst warfen Steine oder klatschten, um sie zu vertreiben; wenn die Hunde hinrannten, war die Wirkung größer. Schon nur das Wort »Katze«, zum Spaß im Haus gesagt, versetzte sie in rasende Aufregung, sie stürzten zu Fenstern und Türen und prallten gegeneinander.
Als Primus siebeneinhalb Monate alt war, jagten sie beide eine Maus. Cid blies in die Efeuecke, wo sie verschwunden war, Primus drängte nach, Cid schnappte, und plötzlich schwarz-goldene Balgerei unter heiseren Kampfrufen. Ich lief hin, riß Primus in die Höhe, Cid entfloh; Primus sah ihm zitternd vor Wut nach. Es dauerte lange, bis er überhaupt hörte, daß ich ihm zuredete. Schließlich spielte er wieder mit mir. Ich vergaß den Zwischenfall wie einen Streit unter Geschwistern.
Zwei Stunden danach, wir versammelten uns gerade zum Samstagskaffee und achteten nicht auf die Hunde, brach das gleiche Getümmel im Haus los. Diesmal kämpften die Eltern mit. Meine Mutter versuchte Halsbänder zu packen, der schwarz-goldene Hundeknäuel wälzte sich oben-unten durch das Zimmer, mein Vater schlug mit der Reitpeitsche darauf. Bei jedem Hieb schien der Lärm anzuschwellen, der Haß sich zu steigern, und wir Kinder schrien sinnlose Sätze und sahen käsebleich hin und her. Das Zuschauen war entsetzlich. Dann, während Primus mörderisch auf dem ermattenden Cid hockte, wurde ein Eimer Wasser gebracht, den meine Mutter über Hunde und Parkett schüttete. Augenblicklich ließen sie einander los und konnten abgeführt werden.
Die Wunden waren weniger schlimm, als wir bei dem Kampf gefürchtet hatten. Cid war zu klein, Primus noch zu jung. Die beiden blieben getrennt, und trotz allem freute es mich sehr, daß Primus die Nacht in meinem Zimmer schlafen durfte; ich streichelte ihn bekümmert und vorsichtig, seine Vorderbeine hatten viele tiefe kleine Löcher. Auch er war traurig, aber weit weg von mir, in sein Fell eingesperrt. »Hast du denn angefangen ?« fragte ich. »Oder arm Cidli ?« Bei dem Namen sah er zur Tür, mit dunklem Blick; ich hatte das Gefühl, daß er Rachegedanken hegte.
Am Sonntag standen sich die sorgfältig getrennten Hunde plötzlich gegenüber, oben an der engen Kellertreppe, durch irgendein Mißverständnis. Beide erschraken und stürzten sich vielleicht nur aus Überraschung wieder aufeinander. Ehe sie sich richtig verbeißen konnten, erwischten wir sie am Kragen. Aber für meine Eltern war es damit entschieden; als wir am Montag aus der Schule kamen, sagte mein Vater, daß er Cid ins Tierspital gebracht habe.
Ich stellte auch Cidlis Fotografie auf meinen Schreibtisch, mit einem zweiten Edelweiß, neben das Bild von Harro. Er tat mir leid, es tat mir weh, und ich dachte darüber nach, daß mein Pimi ja eigentlich jetzt einen Mord auf dem Gewissen hatte. Dieser Ausdruck kam oft in Büchern vor — und meistens bereuten diese Leute dann und taten Buße, oder sie sagten wenigstens in ihrer Todesstunde etwas davon, immer mit drei Punkten zwischen ihren letzten Worten.
Aber das konnte man sich von Primus nicht vorstellen. Er freute sich einfach, daß er in Frieden allein war. Wenn ich sanft »Cid ist tot« sagte, schaute er zur Tür, der Dumme; vorher und nachher dachte er nicht an ihn, das merkte ich ganz genau, und überhaupt verstand er gar nicht, was ich meinte.
Natürlich könnte ich sagen: »Daran bist du schuld«, dann würde er sich entschuldigen ohne zu wissen wofür, nur weil er Vorwurf im Ton hört. Das wäre ein grausames Spiel. Zum Weinen rührend, wie er mir in allem recht gibt — so unschuldig, daß er sich gleich schuldig fühlt. Ich dagegen will immer wissen, warum jemand — und manchmal bereue ich dann, vielleicht, aber wenn ich nicht recht geben kann, hat man mir Unrecht getan, sicher. Die Märtyrer in der Arena oder die verbrannten waren auch sicher, haben sich nie entschuldigt. In den Mördern oder Märtyrern ist so herum oder andersherum ein Gewissen, alle diese Leute, und ich auch, sind ganz anders als Primus.
Er versteht einen Vorwurf nur in dem Augenblick, in dem er etwas Verbotenes tut, kann sich nachher auch nicht verteidigen, und deshalb muß man selber alles für ihn antworten: er hat ja gar nicht gemordet, nur raufen wollen, weil Cid ihn schon so lange geplagt hatte. Wir haben Cidli dann töten lassen, dafür kann er nichts. Da wären ja viele in meiner Klasse Mörder, wenn zwei raufen und einer davon dann
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