Allawa
keine Kraft, vielleicht eher am Halsband.
Sein Ausdruck war nicht unfreundlich gewesen, nur kalt entschlossen, aber als ich jetzt näher kam, legte er höchst geärgert die Ohren zurück und sah mich mit schrägen Wolfsaugen an. Ich wurde unsicher, griff dann doch, aber zaudernd, nach dem Halsband, und schnapp erwischte er mich am Handgelenk.
»Au !« schrie ich gedämpft (man darf nicht laut sein) und betrachtete die zwei kleinen Wunden. Eine war nur abgeschürfte Haut, aus der andern trat ein Tropfen Blut. Ich ließ die Hand vor seiner Nase baumeln. »Schau, was du jetzt gemacht hast. Mich gebissen .«
Das Blut entsetzte ihn. Er sprang auf, leckte es ab, wedelte bestürzt, entschuldigte sich vielmals. Von Widerstand war keine Rede mehr, wir schlenderten an lose schaukelnder Leine nach Hause.
Dort entstand weiter keine Aufregung, nur ein weißer Verband mit gelber Salbe, die wunderbar roch. Im Gegensatz zu Knieverbänden hatte ein Armverband den Vorteil, daß diese Nasenweide immer in Riechnähe war, auf dem Schreibpult, im Gehen, man brauchte sich gar nicht erst zu bücken.
»Es darf sich nur nicht entzünden«, hatte meine Mutter gesagt. Vielleicht also konnte man doch auf Verschlimmerung hoffen. Dann dürfte ich den Arm in einer Schlinge tragen wie der Soldat im Liederbuch neben »Ich hätt’ einen Kameraden«, oder einarmig, das wäre auch schön, und dazu ein Verband quer übers Auge. Aber das Bild wollte nicht richtig lebendig werden: ich war nicht mehr wirklich ein verwundeter Held wie früher, ich malte es mir nur aus. Meine Gedanken liefen auseinander, ein Teil kehrte immer wieder zu der Straße zurück, wo Harro eigensinnig geworden war. Nichts Deutliches, nur das Gefühl, daß ich schuld war, daß ich es ein nächstes Mal besser machen würde.
Um diese Zeit war Harro ungefähr acht Jahre alt, meine Eltern wußten es nicht genau, sie hatten ihn vor fünf Jahren ohne Stammbaum gekauft. Er war immer sehr ernst gewesen, vielleicht durch Stellenwechsel verbittert — das hatte mein Vater kürzlich von jemandem gesagt. Bei schwülem Wetter ärgerte sich Harro leicht, man mußte ihn in Ruhe lassen, und man sollte nie zu ihm in seine Hütte kriechen, und wenn er fraß, durfte man keinen Fuß zu nah neben seine Schüssel stellen. Wenn wir das alles richtig machten, war er lieb.
Sicher hatte ich etwas falsch gemacht. Ich sah jetzt ganz deutlich meine Hand von Harros Seite aus: langsam heranschleichend, bedrohend, wirklich zum Anbeißen hingehalten. Und so dumm von vorn. Müßte man ihn rasch im Genick packen, wie die Schlangenfänger?
Hin und wieder begegnete mir ein grün angezogener alter Mann, der viele Hunde in den Wald führte, wenn ich aus der Schule kam. Die Leinen in seiner Hand sahen aus wie Zügel, ein Hunde-Ben-Hur-Wagen zu Fuß. Ich sollte nicht mit ihm sprechen, aber einmal sprach ich doch wenigstens mit den Hunden, als er zwei an einen Zaun gebunden hatte. Dann kam er mit einem dritten aus einem Haus.
»Soso, hast du sie gehütet«, sagte er, während er sie losmachte. Der neue dritte setzte sich hin und wollte nicht mit. »Soso, komm nur, du, Bello«, sagte der Mann, und Bello stand auf.
»Ich ziehe auch nie an der Leine«, sagte ich. »Sonst will der Hund erst recht nicht .«
»Soso, woher weißt du das so gut ?«
»Weil — weil ich immer neben dem Harro gegangen bin, schon als ich klein war«, sagte ich verlegen.
»Soso. Jaja, so lernt man’s .«
Ich überlegte mir, wie ich aus dem Schwindel wieder aussteigen könnte. »Unser Hund hat aber nicht mit mir kommen wollen«, sagte ich mit einem Ruck.
»Ja, sie gehen nicht gern mit Kindern. Du mußt die Leine schütteln. Sie haben nicht gern, wenn’s am Halsband klirrt. Dann steht er schon auf .«
»Aber — «, war das frech? Ach nein, der Mann sah freundlich aus. »Aber Sie selber haben doch jetzt nicht geschüttelt. Kommt unsrer auch, wenn ich nur >soso< sage ?«
Er lächelte. »Hm, ich weiß nicht. Wenn man sicher ist, daß sie kommen, dann kommen sie eben .«
»Wie — wie kann ich das machen, daß ich sicher bin ?«
Er lächelte wieder. »Das macht man nicht. Wenn’s einmal dein eigner ist, dann bist du eben sicher. Und wenn du einmal erwachsen bist, dann bist du auch mit den Fremden sicher. Dann kannst du sagen, was du willst .«
»Soso, adieu«, sagte ich schweren Herzens und rannte heim.
Es ist Veranlagung, wie man auf einen Biß reagiert, ob um eine Angst oder um ein Verständnis reicher. Ob man hundescheu wird oder
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