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Alle auf Anfang - Roman

Alle auf Anfang - Roman

Titel: Alle auf Anfang - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Zaplin
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WC auf, kauft sich anschließend ein belegtes Brötchen und eine Flasche Wasser und geht zum Auto zurück. Das Spiel im Kopf ist stärker als jeder Skrupel. Hundert Kilometer später hat er mit dem Cursor alles beiseitegeschoben, Jaspers Maske, den Kindersitz in Claudias Auto, das Messer aus der Requisitenkammer in der Nacht nach der Generalprobe. In der Mitte der Spielwohnung steht jetzt die Anselmfigur. Mit ausgebreiteten Armen.
Ein Taxi hält vor dem Haus von Frau Doktor Lund
    Mit ausgebreiteten Armen läuft Alma die Stufen der geschwungenen Treppe vor dem Haus hinab. Sie stolpert, fängt sich wieder, taumelt über die gekieste Einfahrt auf das Tor zu. Dort überlegt sie es sich anders und steckt die Hände in die Taschen. Wo sind die Taschen? Natürlich, sie trägt ja die Hose ohne Taschen. Schnell, ehe sie den Halt verliert, verschränkt sie die Arme vor der Brust.
    Der Taxifahrer steigt als Erster aus. »Ihr Sohn sagt, Sie zahlen?«
    »Ja, natürlich. Wie viel bekommen Sie?«
    Hastig faltet Alma den mitgenommenen Schein auseinander. Der Taxifahrer nennt eine Summe. Der Schein ist viel mehr wert. Alma rundet großzügig auf. Jasper steigt noch immer nicht aus. Verwirrt sieht der Taxifahrer auf Alma. Er geht um den Wagen herum und öffnet die Beifahrertür.
    »Jasper«, sagt Alma. Der Junge sieht sie ausdruckslos an. Langsam kriecht er aus dem Auto. Auf der Stelle ist sie nüchtern. Mustert seine verdreckte Kleidung, während er grußlos an ihr vorübergeht. »Kinder«, sagt sie mit einem Achselzucken zum Taxifahrer, der ihr zunickt und in sein Fahrzeug steigt. In das Geräusch des startenden Dieselmotors hinein setzt Alma ihre Schritte und folgt ihrem Sohn über die kiesbedeckte Einfahrt ins Haus.
    Auf direktem Weg geht Jasper ins Wohnzimmer und bleibt vor dem gedeckten Esstisch stehen. Alma tritt hinter ihn, will ihm den Arm um die Schulter legen, lässt es aber lieber sein. Seit ein paar Monaten mag er das nicht mehr. Stattdessen zündet sie die Kerzen an. Jasper greift nach einem Stück Marmorkuchen und stopft es sich im Stehen in großen Stücken in den Mund.
    »Setz dich doch«, sagt Alma, die eigentlich etwas ganz anderes sagen will, der die Worte nicht einfallen wollen, die ihre Gefühle benennen, ihre Erleichterung, ihre Angst, ihre Liebe. Aber Jasper bleibt stehen.
    »Warum hast du das gemacht?«, fragt er mit vollem Mund und sieht sie aus Augen an, die sie nicht mehr kennt. Die sie so ernüchtern, immer mehr.
    »Ich wollte dir eine Freude machen«, antwortet sie und schneidet weitere Stücke vom Kuchen herunter.
    »Warum hast du mich da hingejagt?«, beharrt Jasper. »Auf die Autobahn? Vor diesen Wagen? Wolltest du mich umbringen?«
    Erschrocken lässt Alma das Messer sinken. Sie will etwas sagen, aber Jasper kommt ihr zuvor. »Warum jagst du mich ständig? Mama!«
    Er baut sich vor ihr auf, und sie fragt sich, wie ein Kind in einer Nacht so wachsen kann. Und ehe sie noch seine fünfzehn Jahre in die Größentabelle in ihrem Kopf einordnen kann, fügt er mit unendlich leiser Stimme hinzu: »Warum sagst du mir nicht, wo mein Vater ist?«
    Er holt Luft. Es sieht aus, als wolle er sie an den Schultern packen, doch stattdessen dreht er sich um und geht. Lässt sie stehen vor dem festlich gedeckten Tisch, vor den brennenden Kerzen. Sie bringt es nicht fertig, ihm nachzulaufen. Im Stehen lauscht sie auf seine Schritte über ihr, auf den Dreiklang, mit dem das gestartete Notebook ihn begrüßt. Welcome home, Jasper.
    Als alles still ist über ihr, setzt Alma sich an den Platz mit der Rose. Sie schenkt sich Tee ein, bestreicht sich sorgsam eine Scheibe Brot mit Butter, löffelt Marmelade darauf. »Guten Appetit, lieber Jasper«, sagt sie mit zitternder Stimme, »lass es dir schmecken.« Sie beißt von dem Brot ab, tupft sich den Mund mit der Serviette, trinkt den Tee. »Möchtest du noch Tee, lieber Jasper?«, fragt sie und schenkt sich nach. »Probier doch mal den Prager Schinken. Der schmeckt dir, nicht wahr? Ich habe ihn extra für dich aus der Stadt mitgebracht.« Zart streichelt sie sich über die Hand, die das Brot zum Mund führt.
    Nach einem gepflegten Frühstück erhebt Alma Lund sich von ihrem Platz, steigt die Treppe hinauf in den ersten Stock, wirft einen Blick in Jaspers Zimmer und sieht ihn vor dem Bildschirm sitzen, auf dem die Fratzen sich tummeln. Mit raschen Fingerbewegungen auf dem Touchpad lässt er sie tanzen. Sie lächelt. Viel Spaß, mein Sohn.
    Auf Zehenspitzen schleicht sie wieder

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