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Alle auf Anfang - Roman

Alle auf Anfang - Roman

Titel: Alle auf Anfang - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Zaplin
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bist. Was hast du gemacht?«
    Claudia sieht auf Urs. Er wendet den Blick ab. Das Telefon klingelt. Alle drei starren auf den Apparat, der auf Claudias Betttisch steht. Claudia zögert. Es klingelt dreimal, viermal, fünfmal. Beim sechsten Mal hebt sie ab.
    »Ja?«, sagt sie zaghaft. Urs’ Blick auf sie ist lauernd. Das Kind kuschelt sich an sie. »Anselm?«, fragt sie leise. Die Antwort am anderen Ende der Leitung spiegelt sich als Wechselleuchten in ihrem Gesicht. Kleine rote Flecken erscheinen auf den Wangen und am Kinn. »Woher weißt du, dass ich …« Sie bricht ab. Sieht auf Urs. Sieht eine Ahnung in seinen Augen, die vielleicht nur ihre eigene ist. »Entschuldige«, sagt sie in die Telefonmuschel, »es ist gerade schlecht. Lass uns später telefonieren, bitte.«
    Urs lehnt sich an den Einbauschrank, als ob ihm schwindelig sei. Claudia legt auf. Sieht nach links hinüber, wo zwei Augenpaare sie anstarren, neugierig das eine, abweisend das andere. Sinkt tief in die Kissen zurück. »Ein größeres Auto, meinst du?«
    Urs nickt schwach. Es sieht aus, als ziehe ein Gewicht seinen Kopf herab.
Stau auf der Autobahn Richtung Süden
    Im Augenblick geht es nur im Schritttempo voran. Anselm hat das Radio laut aufgedreht, doch er kennt keinen einzigen Song. Jasper würde ihm die Titel vermutlich nennen können. Anselm beugt sich vor und sucht mit den Augen den Himmel ab. Der Junge wird längst in seinem Flugzeug sitzen, womöglich befindet er sich gerade schon im Landeanflug auf München.
    Wie lange er im Airport-Coffeeshop geschlafen hat, weiß Anselm nicht. Irgendwann hat die Kellnerin ihn am Arm berührt, er ist hochgeschreckt und wusste zuerst gar nicht, wo er war. Als ihm das ins Gedächtnis zurückkehrte, hat ihn vor allem eines beherrscht: Neid auf dieses verhätschelte Söhnchen, das sich einfach nur in ein Flugzeug zu setzen brauchte. Mama regelte alles andere. Vor ihm, Anselm, liegen tausend Kilometer Autobahn und ein paar leere, müde Tage bis zur nächsten Vorstellung. Er hat gezahlt und einen Münzfernsprecher gesucht. Er will kein Solospieler mehr sein. Hat noch einmal in der Klinik angerufen. Claudias Stimme gehört. Lass uns später telefonieren. War ihr Mann bei ihr?
    Jetzt geht es gerade mal wieder etwas rascher voran. Ohne ersichtlichen Grund hat die Fahrzeugdichte auf beiden Spuren abgenommen, und sofort löst sich die Stop-and-go-Gleichheit auf. Freiwillig bleibt Anselm auf der rechten Spur. Sein Auto zählt jetzt wieder zu den Verlierern. Ihn stört das nicht, redet er sich ein und muss trotzdem an die vergangene Nacht denken, als die Bahn vor ihm frei war und der Junge neben ihm sich im Sitz festkrallte.
    Die nächsten tausend Kilometer vertreibt er sich damit, die Wohnung einzurichten, in der er mit Claudia und den Kindern leben würde. Er sieht einen Grundriss vor sich und bewegt mit einem Cursor im Kopf die Möbel, anschließend die Figuren, Claudia, ihr eigenes Kind, zwei gemeinsame, sich selbst. Einfach so, ohne Punkte zu sammeln. Was für eine Vorstellung.
    Der Verkehr wird wieder dichter. Die Regeln für dieses Phänomen durchschaut Anselm noch viel weniger als die des soeben selbst erfundenen Spiels. Als eine Raststätte angekündigt wird, setzt er den Blinker und fährt hinaus. Die wievielte Raststätte der letzten zwölf Stunden ist das eigentlich? Er hat nicht mitgezählt. Parkt und geht hinein, zum nächsten Münzfernsprecher. Die Nummer kann er schon auswendig, gelernt ist gelernt. Nach dem sechsten Freizeichen meldet sich Claudia. Sie klingt, als habe er sie aus dem Schlaf geholt, und er entschuldigt sich. »Erzähl mir, was passiert ist«, bittet er und hat die Bilder doch im Kopf, die Jasper mit seinem Bericht in ihm wachgerufen hat. »Ich hatte einen Unfall«, hört er Claudia sagen. Der Satz klingt einstudiert, er hört so etwas gleich. Die Frage nach dem Befinden verkneift er sich aus Rücksicht, will nur wissen: »Möchtest du mich sehen?« Einen langen Augenblick ist es still in der Leitung. »Ja«, sagt sie schließlich. Ihre Stimme ist fest. »Ich komme«, kündigt er an, »bis später. Und … Claudia?«
    »Ja?«
    In seinem Kopf bewegt der Cursor die Claudiafigur vor einen Kamin. »Magst du eigentlich Feuer?«
    Jetzt lacht sie. »Wie kommst du darauf?«
    »Nur so. Magst du es?«
    »Ja.«
    Er verabschiedet sich und hängt ein. Er ist ein Idiot. Was, wenn ihr Auto bei dem Unfall Feuer gefangen hätte? Hat es offensichtlich nicht, sonst hätte sie nicht gelacht. Er sucht das

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