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Alle Farben der Welt - Roman

Alle Farben der Welt - Roman

Titel: Alle Farben der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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Haut war noch immer hart und angespannt. Ich fühlte mich wie in der Falle. Ich wusste nicht, was tun, rührte mich nicht. Icarus war nur ein Stückchen weiter vorn, ich musste ihn rufen, ihn zu dem sterbenden Monsieur De Goos bringen, dafür war ich hinabgefahren und hatte mir die Füße schmutzig gemacht, dafür lief ich Gefahr, zu ersticken. Es gab keinerlei Grund, stehen zu bleiben, ich brauchte doch nur ein paar Meter vorwärtszugehen, dann würde ich wieder normal atmen können, so etwas passierte nun mal in einem Bergwerk.
    Nein.
    Ich musste weglaufen. Das hatte mir meine Mutter zu verstehen gegeben. Es war zu gefährlich, dort zu bleiben. Ich schrie: »Die Lampe ist ausgegangen! Die Lampe ist ausgegangen!«
    Ich lief zurück durch die Gänge, zurück zum Eingang des Stollens, mit zerrissener Haube und zerschnittenen Füßen, und die Bergleute drehten sich um, ohne zu verstehen, was das ahnungslose Werk ihrer Stemmeisen unterbrochen hatte. »Fort, fort!«, schrie ich. »Macht, dass ihr fortkommt, alles stürzt ein!«
    Alle hörten meine kleine, gellende Mädchenstimme und erschraken. Sie strömten aus den Gängen, tauchten wer weiß woher auf, ließen ihr Werkzeug und die Karren im Stich, stoben zum Ausgang und drängten sich um den Käfig. »Zieht uns hoch!« Die Aufseher versuchten, uns in Gruppen einzuteilen, es bestand die Gefahr, dass wir abstürzten. Der Käfig konnte eine so große Last nicht tragen, wir mussten ruhig bleiben, durften nicht in Panik verfallen, doch alle wollten nach oben, wir waren wie eine Meute wütender Hunde um einen einzigen Knochen. Zum Glück hatte Icarus mich gefunden und hielt mich in seinen Armen.
    Der Aufstieg ging rasch und in Schweigen vonstatten, alle hielten still, um bloß nicht die Bestie zu reizen, die da erwachte. Die Fackeln waren erloschen, doch der Himmel kam schnell näher, er entspannte die Gesichter. Sie sahen alle gleich aus, Monsieur van Gogh, alle schwarz wie Afrikaner, mit großen Augen, hell und schicksalsergeben. In diesen Augen lag ein ganz bestimmter Ausdruck. Ein Ausdruck, den ich hier auch wieder gesehen habe, der Blick von Menschen, die genau wissen, warum sie Angst haben.
    Der dicke Wachmann kam herbei. »Was ist denn hier los? Darf man vielleicht erfahren, was hier los ist?«
    »Die Kleine hat gesagt, wir sollen raufkommen«, antwortete ein Bergmann, dessen Gesicht unter der schwarzgrauen Schicht hochrot angelaufen war. Nichts war passiert. Die Grube war so ruhig wie zuvor.
    »Gab es einen Einsturz?«
    »Nein.«
    »Was denn sonst? Was ist passiert?«
    »Nichts.«
    »Und warum seid ihr dann hochgekommen?«
    »Das Mädchen ...«
    »Ihr habt eure Arbeit nur hingeschmissen, weil die kleine Rotznase, die zu euch runtergefahren ist, das gesagt hat? Ist das hier ein Aufstand? Oder vielleicht ein Streik ? Wollt ihr etwa streiken ? Wisst ihr, was das die Bergwerksgesellschaft kostet? Was ist euch bloß in den Kopf gefahren?«
    Icarus setzte zum Sprechen an: »Sie hat eine Gefahr bemerkt, wahrscheinlich ist Gas ...«
    »Fahrt sofort wieder runter, oder die Mine wird geschlossen. Verstanden? Auf der Stelle und ohne einen Muckser. Und ihr müsst eine doppelte Schicht arbeiten, eine dreifache! Euch ist ja wohl klar, was es heißt, wenn diese Mine schließt. Dann habt ihr nichts mehr zu essen! Ihr wollt nicht unter der Erde arbeiten? Dann werdet ihr bald unter der Erde ruhen, und zwar verhungert!«
    In diesem Moment hörte man ein Krachen, einen riesigen Knall, so laut, als hätte der Leibhaftige persönlich die Pforten der Hölle aufgestoßen, und eine turmhohe Flamme loderte aus dem Schacht, mit einem Fauchen wie von einer gigantischen Katze, die von einem Kirchturm geschleudert wird. Dann kam dichter, schwarzer Rauch. Alle nahmen Reißaus und suchten Unterschlupf, doch gibt es nur wenige Felsblöcke, Schlupfwinkel und Büsche im Kempenland, die Flucht war ohne Ende, der Rauch rückte vor, langsam aber stetig, unaufhaltsam.
    Dann kam der Wind, der Wind, in dem ich geboren bin, und löste den Rauch auf. Zunächst ließ er ihn grau werden, schließlich verwehte er ihn ganz, die Luft wurde wieder klar. Nur ein Hauch blieb zurück, ein Nachklang des Gestanks, nur ein kleiner Hauch.
    Ich, Teresa Ohneruh, hatte die Zukunft vorhergesagt.

    Ich habe Angst, Monsieur van Gogh.
    Mir ist, als wäre ich gerade erst aus dieser Grube entkommen. Schlimmer noch, als wäre ich noch immer in ihr. Ich bin hinabgefahren und nicht wieder herausgekommen. Ich kann nicht wieder

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