Alle lieben Merry
sonnengebräunt wie ein Tennisprofi.
Plötzlich war ihr Hals vor Aufregung wie zugeschnürt. Es kam umso überraschender, weil sie sich so sicher gewesen war, dass sie ruhig bleiben würde. Ihre Finger wurden eiskalt, ihr Herz klopfte nervös, und ihre Lippen zuckten. Es war ihr egal, ob der Richter umwerfend aussah oder nicht, aber sie erwartete, dass man mit ihm reden konnte, dass er zuhören würde und bereit war zu verstehen, wie viel für Charlene auf dem Spiel stand.
Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte sie nichts dagegen gehabt, einem so gut aussehenden Mann gegenüberzusitzen, aber nicht jetzt. Der Richter sah nicht wie jemand aus, der sich für Kinder interessierte. Merry spürte zum ersten Mal Panik in sich aufsteigen … Panik, dass sie Charlie verlieren könnte. Tatsächlich verlieren könnte.
Der Richter nahm so lässig Platz, als mache er sich mit ein paar Freunden einen gemütlichen Tag. “Das Gericht befasst sich heute mit mehreren Angelegenheiten, die die minderjährige Charlene Ross betreffen. Wir werden alle Personen vereidigen und dann anfangen. Wir alle müssen uns darüber im Klaren sein, dass unsere Aufgabe heute darin besteht, über die Vormundschaft im Fall der minderjährigen Charlene Ross zu entscheiden.”
Alle, auch Merry, nickten.
“Nun, wenn ich richtig informiert bin, ist wenige Tage, bevor der Verhandlungstermin anberaumt wurde, die leibliche Mutter aufgetaucht. Mary Ross hat ihre Tochter Charlene das letzte Mal gesehen, als das Kind zwei Jahre alt war.” Der Richter blätterte in seinen Akten und sah kurz zu Lee Oxford. Dieser nickte zustimmend. “Sowohl Mr. Oxford als auch Mrs. Innes haben Bedenken bezüglich Mrs. Ross geäußert – nicht nur hinsichtlich des geforderten Sorgerechts, sondern auch wegen des Besuchsrechts. Beide haben Informationen eingeholt, dass die geschiedene Mrs. Ross erst vor zwei Monaten aus einer Entziehungsklinik entlassen wurde und dass sie früher schon viermal in dieser Einrichtung gewesen ist. Ihr wurde der Führerschein wegen Lenken eines Fahrzeuges unter Drogeneinfluss entzogen. Des Weiteren sind zwei Unfälle im Zusammenhang mit Drogen aktenkundig …”
Lee meldete sich rasch zu Wort. “Wir sind der Ansicht, dass es außer Frage steht, ob das Kind in die Obhut der leiblichen Mutter gegeben werden soll, Euer Ehren. Wir alle sind der Meinung, dass sie lediglich deshalb aufgetaucht ist, weil sie vom beträchtlichen Vermögen ihres geschiedenen Ehemannes erfahren hat und darüber verfügen möchte, wenn sie das Sorgerecht für das Kind erhält.”
“Ja.” Der Richter nickte Lee und Mrs. Innes zu. “Sie scheinen diesbezüglich beide gleicher Meinung zu sein. Aber sie ist die Mutter des Kindes. Und wie wir im Vorfeld zur Verhandlung bereits diskutiert haben, glaube ich, dass es im Interesse der Minderjährigen – und aller anderen Beteiligten – ist, wenn die beiden sich in meinem Büro in meinem Beisein sowie mit den Anwälten beider Parteien treffen. Miss Olson, Charlene ist im Gerichtsgebäude, ist das richtig?”
“Ja.”
“Gut. Dazu später mehr. Zuvor befassen wir uns mit der derzeitigen Situation des Kindes. Miss Olson, Mrs. Innes hat mir einen Bericht vorgelegt, den Sie und Ihr Anwalt in Kopie erhalten haben. Haben Sie beide ihn gelesen?”
“Ja, Euer Ehren”, antwortete Lee.
“Gut. Miss Olson, möchten Sie sich zu Ihrer Rolle als Vormund äußern?”
“Ja.” Merry erhob sich.
Sei stark, sei stark
, pochte ihr Herz. Doch ihre Hände waren feucht vor Angst.
Angst, dass sie nicht die richtigen Worte finden und nicht in der Lage sein würde, den Richter davon zu überzeugen, dass sie wichtig für Charlene war – und umgekehrt Charlene wichtig und wertvoll für sie.
Wann hatte sie schon jemals so etwas für einen anderen Menschen tun dürfen?
Sie versuchte es. “Ich
liebe
dieses Kind. Mir sind alle Gründe bekannt, warum ich vielen Leuten nicht als idealer Vormund erscheine. Aber Sie müssen wissen – ich habe Charlie Ross gekannt. Ich weiß, wen er sich für seine Tochter gewünscht hat. Er wollte jemanden, dem sein Kind am Herzen liegt. Jemanden, der in Charlene nicht nur irgendein Kind sieht, sondern den einzigartigen und außergewöhnlichen Menschen, der sie ist.” Sie machte eine kleine Pause.
“Charlene und ich”, fuhr sie fort, “haben beide Mütter, die uns verlassen haben. Ich bin der Meinung, dass dies von Bedeutung ist, weil ich weiß, wie sich so etwas auf ein Kind auswirkt – wie es sich auf
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