Alle lieben Peter
sammelte ich mit buddhistischer Selbstdisziplin die zweihundert Kügelchen wieder auf. Dann hielt ich dem Federputzer eine Ansprache: »Jetzt steck’ ich dich weg, du dämliches Luder! Wozu stehst du eigentlich auf meinem Schreibtisch? Wer putzt sich heutzutage noch die Feder in Glaskügelchen? Kein Mensch! Also weg mit dir!«
Als ich zum Bücherschrank ging, um das Urteil zu vollstrecken, mußte ich erst Weffi abschütteln, der meinen großen Zeh durchkaute.
Weff-weff-weff sprang er um mich herum, dann auf den Dicken zu und brüllte ihm in die Riesenohren. Cocki schloß betäubt die Augen, seufzte, stand auf und watschelte hinaus. Frauchen erschien in der Tür: »Was ist denn bloß für ‘n Krawall hier? Nicht mal ausschlafen kann man!«
»Es ist dreiviertel neun«, sagte ich.
»Dann würde ich mich anziehen an deiner Stelle.«
Ich unterdrückte eine ganze Menge von Bemerkungen und ging ins Bad. »Wie stinkt’s denn hier?« fragte sie hinter mir.
»Frag deinen Ältesten!«
Eine halbe Stunde später saßen wir unter der großen Linde im Garten beim Frühstück.
»Du wirst dir was holen in deinem dünnen Schlafrock!« sagte die Mama zu Frauchen. Keine Antwort.
»Eine Lungenentzündung mindestens«, taxierte die Mama. »Außerdem stehst du mit den bloßen Füßen im feuchten Gras, das gibt eine Nierenentzündung.«
Frauchen ließ die Zeitung sinken, sammelte einen Augenblick ihre Gedanken und sagte dann: »Du fütterst ja schon wieder den Dicken!«
Die Mama hatte geglaubt, es sehr geschickt zu machen, indem sie die Hand mit dem Butterbrot unter den Tisch hielt. »Nur so’n Häppchen!« sagte sie.
»Er wird die Fetträude kriegen«, meinte Frauchen. »Komm her, Cocki, setz dich zu mir!«
Der Löwe latschte mißmutig zu Frauchen. Sofort rückte Peter nach und machte Männchen vor der Mama. Weffi setzte sich neben ihn und übertraf ihn noch, indem er nicht nur Männchen machte, sondern auch mit beiden Vorderpfoten bittende Bewegungen ausführte.
»Sieh doch nur, wie er die Hände ringt!« sagte die Mama.
»Laß ihn ringen«, meinte Frauchen hinter der Zeitung. Die scharfen Augen der Familie aber sahen, wie sie hinter dieser Zeitung dem Dicken eine halbe Semmel in den Rachen schob.
»Aha!« machte die Familie und stopfte nun in hemmungsloser Vergeltung Peter und Weffi mit Butterbroten voll.
Frauchen ließ die Zeitung sinken: »Du solltest den Wagen fertigmachen, ich bin in fünf Minuten angezogen.«
Da ich wußte, daß ich demnach noch drei viertel Stunden Zeit hatte, schlenderte ich geruhsam zur Garage, roch unterwegs an der Rose, die neben der Eingangstür blühte, öffnete die Garagentür und sagte »Guten Morgen!« zu Muckelchen. >Muckelchen< — so hieß nämlich das Familienauto. Es war, als ich es vor vier Jahren kaufte, zehn Jahre alt. In diesen vier Jahren hatte ich alles getan, um die Spuren seines hohen Alters zu verwischen. Ich hatte Verdeck und Windschutzscheibe niedriger machen lassen, kleinere Räder gekauft, eine neue Lackierung, ein neues Steuerrad und einen neuen Motor spendiert. Auch hatte ich nach und nach Bremsbeläge, Batterie, Achsschenkelbolzen und die Holzteile der Karosserie erneuert und so allmählich das Geld für einen neuen Sechs-Zylinder in einen vierzehn Jahre alten Vier-Zylinder investiert.
Man mußte sehr vorsichtig mit Muckelchen sein. Ewig fehlte ihm was, und wenn wirklich mal alles in Ordnung war, dann tat es so, als ob ihm was fehle. Wenn man dann nicht darauf achtete, gab es die Sache von selber auf. Vor allem reagierte es unfehlbar, sofort und ausgesprochen boshaft, wenn man mal einen anderen Wagen in seiner Gegenwart lobte oder gar im Gespräch die Anschaffung eines neuen erwog. Dann konnte man sicher sein, daß einem Muckelchen in der nächsten Stunde eine Panne hinlegte oder so über einen Stein fuhr, daß einem das Kinn aufs Steuerrad schlug. Wir sprachen deshalb nur lobend über es, wenn wir in seiner Nähe waren.
Auch heute, in Gedanken an die Wichtigkeit der bevorstehenden Fahrt, war ich — während ich Wasser und öl kontrollierte — voll kriecherischer Freundlichkeit.
»Schön bist du, mein Äffchen«, sagte ich. »So schön sauber dein Ölehen! Herrchen hat dir ja auch so einen feinen Seitenspiegel geschenkt, nicht wahr? Ja, du bist das Beste! Nicht für ‘n Cadillac würde ich dich hergeben! Augenblicklich hat Herrchen zwar kein Geld, aber wenn Herrchen wieder Geld hat, weißt du, dann kauft er dir den schönsten Nebelscheinwerfer, der wirst du
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