'Alle meine Kinder'
schlimmere Gewichtsprobleme gibt als Übergewicht.
Ein paar Menschen aus dem Westen haben allerdings einen Blick über die Mauer geworfen. Der UN-Sondergesandte Stephen Lewis gehört zu ihnen und auch der stets Fliege tragende, weltreisende, charismatische Arzt Jonathan Mann, der bei dem Absturz der Swissair-Maschine vor Halifax starb. Bill und Melinda Gates und die ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter und Bill Clinton zählen dazu.
Wie können wir anderen - normale Bürger, die auf asphaltierten Straßen zwischen Wohnung und Schule, Büro und Spielplatz, Supermarkt und Baumarkt hin und her fahren, die Eingangstür mit einem Fuß aufhalten, während sie mit der Post, den Einkaufstüten, der Handtasche, einem Buch und den Rucksäcken der Kinder unterm Arm versuchen, ins Haus zu kommen -, wie also können wir anderen es ihnen gleichtun?
An diesem Sonntagmorgen, an dem die Kinder in ihren Badesachen ungeduldig in der Einfahrt auf die Hupe drückten, fragte ich mich plötzlich: Kannst du nicht eine dieser afrikanischen Aids-Waisen adoptieren? Der Gedanke an Adoption ließ mich einen Blick über die Mauer werfen, machte es mir möglich, in den riesigen Zahlen mit all den Nullen etwas zu erkennen. Bevor ich als Journalistin nach Äthiopien ging, reiste ich als Adoptivmutter dorthin; Äthiopien war eines der wenigen afrikanischen Länder, die Ausländern eine Adoption ermöglichten.
Als Adoptivmutter nach Äthiopien zu kommen erwies sich als die beste Empfehlung von Haregewoin Teferra. Dort, woher sie kam, waren Mütter eine bedrohte Spezies, daher war eine Mutter, die bereit war, für ein fremdes Kind zu sorgen, jemand, den man mit offenen Armen empfing.
Ich habe schließlich keines der Kinder von Haregewoin adoptiert, aber dank der Vermittlung einiger Leute, Äthiopier und Amerikaner, die ein Waisenkind nach dem anderen aus Äthiopien schaffen und in Adoptivfamilien im Westen unterbringen, habe ich meinen Weg zu ihr gefunden.
Adoption ist nicht die Lösung für das HIV/Aids-Problem in Afrika. Durch eine Adoption lassen sich nur wenige Kinder retten. Aber Adoption klärt beispielhaft auf: Diese wenigen einst geliebten Kinder - die ihre Eltern wegen einer Krankheit verloren haben, die zu verhindern gewesen wäre - erhielten eine zweite Chance in einer Familie in fremden Ländern; sie sind junge Botschafter, und wir erhalten durch sie einen Eindruck davon, wie ihre Altersgenossen sind, diejenigen, die ohne Eltern in den Dörfern und Städten Afrikas zu Millionen leben und sterben. Auf jedes Waisenkind, das in einer Familie in der nördlichen Hemisphäre auftaucht - und den Buchstabierwettbewerb gewinnt, den Waldlauf gewinnt, dem Sportverein beitritt, Rollschuhlaufen, Trompete oder Geige spielen lernt -, kommen zehntausend afrikanische Kinder, die allein zurückbleiben.
»Adoption ist die letzte Möglichkeit«, erklärte mir im November 2005 Haddush Halefom, Leiter der dem Arbeits- und Sozialministerium unterstellten Adoptionsbehörde, die auch für internationale Adoptionen verantwortlich ist. »Historisch gesehen, haben die engen Verwandtschaftsbeziehungen in unserem Land bedeutet, dass es nur sehr wenige alleingelassene Waisen gab: Verwaiste Kinder wurden von der Großfamilie aufgezogen. Die HIV/Aids-Pandemie hat so viele unserer Familien zerstört, dass heute nicht mehr alle äthiopischen Waisen aufgenommen werden können.
Ich habe große Achtung vor den Familien, die sich unserer Kinder annehmen«, sagte er. »Aber ich bin vor allem an jeder Form von Hilfe interessiert, durch die wir die leiblichen Eltern der Kinder am Leben erhalten können. Adoption ist gut, aber für die Kinder wäre es natürlich besser, wenn sie nicht mit ansehen müssten, wie ihre Eltern sterben.«
Viel zu wenig medizinische Hilfe aus dem Westen erreicht Afrika. Heute, im Jahr 2006, brauchten 4,7 Millionen Menschen in Afrika dringend lebenserhaltende Aids-Medikamente, aber nur eine halbe Million bekommt sie. Täglich sterben 6600 Afrikaner an Aids. Im jüngsten UNICEF-Bericht ist zu lesen, dass in Zimbabwe alle 20 Minuten ein Kind an Aids stirbt oder durch Aids zur Waise wird.
Es gibt Erfolge. Die Aids-Medikamente wirken so gut, dass todkranke Menschen innerhalb von zwei Monaten nach Beginn der Behandlung keine Symptome mehr aufweisen und ihre Arbeit wiederaufnehmen können. Untersuchungen haben gezeigt, dass Afrikaner, die lebenserhaltende Aids-Medikamente bekommen, sich viel strikter an die Einnahmevorschriften halten als Kranke
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