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'Alle meine Kinder'

'Alle meine Kinder'

Titel: 'Alle meine Kinder' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fay Greene
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für das andere Geschlecht bestimmt waren, komplett mit kunstpelzbesetzten Kapuzen oder Handschuhen, die an die Ärmel befestigt waren. Irgendwelche Nordamerikaner oder Nordeuropäer hatten offenbar gebrauchte Kleider für Aids-Waisen zusammengepackt, und eine Kiste mit Parkas und Skihosen war in diesem heißen, trockenen ostafrikanischen Stadtviertel gelandet.
    Die reichen Länder und ihre weltweit operierenden Organisationen und multinationalen Pharmakonzerne sträubten sich lange, ihre antiretroviralen Medikamente, also Medikamente zur Behandlung von Aids, mit anderen zu teilen. Die Welthandelsorganisation hat auch auf Betreiben der Vereinigten Staaten das Recht am geistigen Eigentum (zum Beispiel die molekulare Zusammensetzung von Aids-Medikamenten) über das Menschenrecht auf Gesundheit gestellt, so dass die Markenpräparate für die meisten Menschen, für die sie lebenserhaltend wären, unerreichbar sind.
    Aber Schiffsladungen mit Secondhand-Kleidung treffen trotz Seuche, Unterernährung und Krieg regelmäßig ein. Den Bewohnern der ersten Welt ist es ein inneres Bedürfnis, gebrauchte Kleidung in Kisten zu verpacken und nach Afrika zu schicken.
     
    Haregewoins Haus war wie die meisten Häuser von der wimmelnden Drei-Millionen-Stadt mit einer zwei Meter hohen Begrenzung aus ineinandergestecktem und mit Draht zusammengebundenem Wellblech abgeschottet. Sie schob den Riegel des schweren Hoftors auf, das an zwei Betonblöcken befestigt war, öffnete es nach innen und begrüßte Selamneh mit einem Kuss auf jede Wange. Dann zog sie mich mit beiden Händen zu sich herunter und küsste auch mich auf die Wangen. Mit meinen gut ein Meter siebzig überragte ich sie um einiges. Ich fühlte mich immer wie eine weiße Riesin neben Haregewoin. Sie hielt sich gerade, hatte den Kopf ein wenig in den Nacken gelegt, herausfordernd - vielleicht aber auch nur jederzeit bereit, mit viel größeren Leuten zu sprechen. Sie hatte Geschick darin, den Eindruck zu erwecken, dass alles, was auf ihrer Höhe geschah, normal war, während das Geschehen auf meiner Höhe ziemlich seltsam war.
    Sie drehte sich um und zog uns hinter sich her ins Haus. Selamneh und ich setzten uns nebeneinander auf das niedrige wacklige Sofa im Wohnzimmer.
    Haregewoin rief Sara, der von ihren Eltern verstoßenen ehemaligen College-Studentin, zu, dass sie mir zu Ehren die traditionelle »Kaffeezeremonie« vorbereiten solle, ein Ritual der Gastfreundschaft und des Genusses von buna (Kaffee).
    Sara kam in einem handgewebten weißen Kleid mit bunten Stickereien herein. Sie trug ein Bündel langes, frisch geschnittenes, süß riechendes Gras und verteilte es auf dem Betonboden. Dann ging sie wieder hinaus, kehrte mit einem kleinen Kohleofen zurück, den sie auf den Grasteppich stellte, und nahm davor auf einem niedrigen, dreibeinigen Hocker Platz. Sie begann in einer Pfanne frische Kaffeebohnen zu rösten, wobei sie die Pfanne schüttelte, um die Bohnen aus ihren Schoten zu befreien. Als das Kaffeebohnenöl in der Pfanne zu rauchen begann, trug sie sie am Griff zu uns herüber; Selamneh und Haregewoin wedelten sich den wohlriechenden Rauch ins Gesicht, und ich machte es ihnen nach. Zurück auf ihrem Hocker, zerstieß Sara die schwarzen Bohnen in einem Mörser, dann brühte sie den Kaffee in einer schön geformten, handgearbeiteten schwarzen Kanne auf. Sie goss den dicken buna in kleine Porzellantassen, in die sie vorher eine Menge Zucker gelöffelt hatte. Traditionell bekamen Gäste Popcorn oder geröstete Gerste, kolo, zum Knabbern dazu.
    Plötzlich stürzte Mintesinot mit einem Jauchzer durch die Haustür und warf sich in Selamnehs Arme.
    »Fahren wir heute zu meinem Papa?«, fragte der Junge.
    »Hm, heute nicht, aber bald. Hast du die Kekse noch?«
    »Ja!«, rief er und zog die flach gedrückte Tüte, in der noch ein paar krümelige Reste waren, aus seiner Tasche.
    »Minty, na , komm«, sagte Sara. »Wir sehen mal, was die anderen Kinder spielen.« Er nahm ihre Hand, blickte aber beim Weggehen über die Schulter zu Selamneh.
    Haregewoin stellte die Kaffeetasse ab, nachdem sie einen Schluck getrunken hatte, und drehte sich auf ihrem Stuhl zu mir herum. Sie streckte ihre Hände aus, die Innenflächen nach oben gerichtet, als wolle sie prüfen, ob es regnete, und bedachte mich mit einem schiefen Lächeln. Sie bedeutete mir damit, dass ich jetzt meine Fragen stellen konnte. Aber ihr war nicht wohl dabei. Das Innere ihrer Augen war kohlrabenschwarz. Die traurigen Falten

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