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Alle meine Wünsche (German Edition)

Alle meine Wünsche (German Edition)

Titel: Alle meine Wünsche (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grégoire Delacourt
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Welt von Freelancer . Nadine las in ihrem Gespräche zwischen Hitchcock und Truffaut ; sie war dreizehn.
    Sie hob den Kopf, als ich ihre Zimmertür öffnete, sie lächelte mir zu, und ich fand sie schön, unsagbar schön. Ich liebte ihre großen blauen Augen, ich nannte sie ihre Himmelsaugen. Ich liebte ihre helle Haut, auf der noch keine Verletzung eine Narbe hinterlassen hatte. Ihr schwarzes Haar; ein Rahmen um ihre zarte Blässe. Ich liebte ihr Schweigen und den Duft ihrer Haut. Sie rückte an die Wand, sagte nichts, als ich mich neben sie legte. Dann streichelte sie sanft meine Haare, wie es Maman gemacht hatte, und las weiter, jetzt halblaut, wie es ein Erwachsener tut, um die Ängste eines Kindes zu zerstreuen.

    H eute früh war eine Journalistin des Observateur de l’Arrageois im Kurzwarenladen. Sie wollte mich über mein Blog Zehngoldfinger interviewen.
    Es ist ein bescheidenes Blog.
    Ich schreibe darin jeden Morgen über die Freuden des Strickens, des Stickens, des Nähens. Ich stelle Stoffe und Wolle vor, Bänder mit Pailletten, aus Samt, Satin und Organdy; Baumwoll- und Elastikspitze, Rattenschwanzschnur, gewachste Schnürsenkel, geflochtene Kunstseidenkordel, Anorakkordel. Manchmal erzähle ich vom Kurzwarenladen, von gestern eingetroffenem Klett- oder Druckknopfband. Ich lasse auch ein paar melancholische Gedanken einer Stickerin, Klöpplerin oder Weberin einfließen, Regungen wartender Frauen. Wir sind alle Nathalie, die Isolde aus Der ewige Bann .
    Sie haben schon mehr als tausendzweihundert Besucher am Tag, ruft die Journalistin, tausendzweihundert, allein hier in der Gegend.
    Sie ist in dem Alter von Kindern, auf die man stolz ist. Sehr hübsch mit ihren Sommersprossen, dem rosa Zahnfleisch und den strahlend weißen Zähnen.
    Ihr Blog ist überraschend. Ich habe hundert Fragen. Warum wollen jeden Tag tausendzweihundert Frauen etwas über Stoffe lesen? Warum plötzlich diese Begeisterung für das Stricken, die Kurzwaren … das Greifbare? Glauben Sie, dass wir an Berührungsmangel leiden? Hat das Virtuelle die Erotik getötet?
    Ich unterbreche sie: Ich weiß es nicht, sage ich, ich weiß es nicht. Früher schrieb man Tagebuch, heute ein Blog.
    Haben Sie Tagebuch geschrieben?, gibt sie zurück.
    Ich lächle: Nein. Nein, ich habe nicht Tagebuch geschrieben, und ich habe keine Antworten auf Ihre Fragen, es tut mir sehr leid.
    Da legt sie ihr Heft, ihren Stift, ihre Tasche beiseite. Sie sieht mir tief in die Augen. Sie presst ihre Hand auf meine und sagt: Meine Mutter lebt seit zehn Jahren allein. Sie steht um sechs Uhr auf. Sie macht sich einen Kaffee. Sie gießt ihre Pflanzen. Sie hört die Nachrichten im Radio. Sie trinkt ihren Kaffee. Sie macht sich etwas frisch. Eine Stunde später, um sieben Uhr, ist ihr Tag zu Ende. Vor zwei Monaten hat ihr eine Nachbarin von Ihrem Blog erzählt, und sie hat mich gebeten, ihr so ein Ding zu kaufen – so ein Ding ist in ihrer Sprache ein Computer. Seither hat sie dank Ihren Posamenterien, Ihren Quasten und Ihren Raffhaltern die Lebenslust wiedergefunden. Also erzählen Sie mir nicht, dass Sie keine Antworten haben.
    Die Journalistin packt ihre Sachen zusammen und sagt: Ich komme wieder, dann haben Sie die Antworten.
    Es war elf Uhr zwanzig, als sie gegangen ist. Meine Hände zitterten, die Handflächen waren feucht.
    Also schloss ich den Laden ab und ging nach Hause.

    I ch musste lächeln, als ich meine Jungmädchenschrift wiederentdeckte.
    Die »a« waren in Druckschrift, die i-Punkte Kreise, und auf den »i« eines gewissen Philippe de Gouverne winzige Herzen. Philippe de Gouverne. Ich erinnere mich noch. Er war der Intellektuelle der Klasse, auch der Lustigste. Man verspottete ihn wegen seines Adelstitels. Wir nannten ihn Gouverneur. Ich war furchtbar verliebt in ihn. Ich fand ihn umwerfend verführerisch mit seinem Schal, der zweimal um den Hals geschlungen war und immer noch bis zur Taille reichte. Wenn er etwas erzählte, sprach er im Konjunktiv Zwei, und die Musik seiner Konjugationen berauschte mich. Er sagte, er würde Schriftsteller werden. Oder Dichter. Er würde Lieder schreiben. Auf jeden Fall würde er die Mädchenherzen höher schlagen lassen. Alle lachten. Ich nicht.
    Aber ich habe mich nie getraut, ihn anzusprechen.    
    Ich blättere in meinem Tagebuch. Eingeklebte Kinokarten. Ein Foto von meiner Lufttaufe in Amiens-Glisy mit Papa, 1970, zu meinem siebten Geburtstag. Er würde sich heute nicht mehr daran erinnern. Seit seinem Schlaganfall

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