Alle Menschen werden Schwestern
jedenfalls ein Stück weiter als ihr Kollege, der sie sprachlich noch als »Eindringling« kennzeichnet:
(32) [...] habe ich gar nicht daran gedacht, Journalistin zu werden. [...] Ein anderes Mal hat er gefragt, ob ich wirklich die Absicht hätte, Journalist zu werden. (Boveri 1977: 239 und 246)
5 Wenn zwei dasselbe tun...:
Warum ein Maler etwas Besseres ist als eine Malerin
Eine Ministerin soll einmal gesagt haben, sie sei mindestens so tüchtig wie irgendein Minister, und deshalb gebühre ihr die Anrede Frau Minister anstelle des »lächerlichen« Frau Ministerin. Eine Gärtnerin erklärte mir einmal, sie müsse sich selbst als Gärtner bezeichnen, sonst dächten alle, sie sei Floristin, während sie doch in Wirklichkeit »die Schwerarbeit eines Gärtners« tue. [Mein Einwand: Sie selbst sei doch der Beweis, daß sie »die Schwerarbeit einer Gärtnerin« tue! Ob ihre männlichen Kollegen, die dasselbe wie sie täten, sich deshalb vielleicht Gärtnerin nennten?!] Eine Architektin bestätigte die Gärtnerin: Sie müsse sich als Architekt vorstellen, sonst dächten die anderen, sie sei »bloß« Innenarchitektin. 34 — Zu guter Letzt las ich in einem Buch über Komponistinnen folgende Hermaphrodite der Komponistin Grete von Zieritz:
(33) Ich bin [...] nicht in der Lage, auch nur ein Blatt zu zeichnen, obwohl meine direkten weiblichen Vorfahren gute Malerinnen gewesen sind, keine Sonntagsmalerinnen, sondern studierte, anspruchsvolle Maler [...]. (Weissweiler 1981: 356)
Für Grete von Zieritz genügt anscheinend die Versicherung, daß ihre »weiblichen Vorfahren« gute Malerinnen gewesen sind, noch nicht, um deren Qualifikationen überzeugend herauszustreichen. Das Prädikat gute wird nach ihrem Verständnis offenbar konterkariert durch die Bezeichnung Malerinnen. Malerinnen, so fürchtet sie, wird notwendig assoziiert mit Sonntagsmalerinnen. Ob sie nie etwas von Artemisia Gentileschi, Angelika Kauffmann, Mary Cassatt, Berthe Morisot, Paula Modersohn-Becker, Sonia Delaunay, Georgia O’Keeffe gehört hat? Wie dem auch sei, die Assoziation »dilettantisch«, die für Grete von Zieritz der movierten Form Malerinnen anhaftet, muß ausgeräumt werden mittels der maskulinen Form Maler. Ihre Vorfahrinnen waren also »studierte, anspruchsvolle Maler«. Zieritz macht ihre malenden Vorfahrinnen zu Männern honoris causa.
In unserer Herrenkultur gilt allgemein das Gesetz/Vorurteil: weiblich gleich zweitrangig. 35 Denken wir nur an den stereotypen Stoßseufzer männlicher Autofahrer »Frau am Steuer !!« , der schon seit geraumer Zeit richtiger »Mann am Steuer!!« hieße, wenn mann nämlich die Unfallstatistik anstelle seiner Überlegenheitsphantasien zugrunde legen würde. Ich persönlich bin in der Regel froh und erleichtert, wenn ich es bei Behörden mit Sachbearbeiterinnen statt Sachbearbeitern zu tun habe, weil Frauen nach meiner Erfahrung im Beruf generell sowohl freundlicher und hilfsbereiter als auch sachkundiger und weniger schwerfällig als Männer sind.
Für mich bezeichnet also die weibliche gegenüber der männlichen Funktionsbezeichnung in der Regel den höheren Leistungsstandard; ich erwarte aufgrund vielfältiger Erfahrung von einer Ärztin/Rechtsanwältin/Steuerberaterin bessere Leistungen als von einem Arzt/Rechtsanwalt/Steuerberater. Für die meisten aber gilt das Dogma von der weiblichen Unterlegenheit in allen Angelegenheiten außer den »weiblichen« 36 unverändert, trotz der Flut an Gegenbeweisen und der Binsenweisheit, daß eine Frau in fast jedem Beruf »zehnmal besser sein muß als ein Mann«, um als einigermaßen kompetent wahrgenommen zu werden.
Die Beteuerungen der Ministerin, der Gärtnerin, der Architektin und vor allem die Zieritzsche Selbstkorrektur machten mich stutzig und setzten Überlegungen und Nachforschungen in Gang, die sich schließlich zu der These verdichteten, daß wir, wenn wir Frauen zu Männern honoris causa machen, in einem »gleichnisartigen«, »bildhaften«, »metaphorischen« Bereich verharren, statt selbstbewußt unseren eigenen Wert und unsere eigene Realität zu definieren.
Das Standardbeispiel für Metaphern in den Lehrbüchern zur Poetik und Rhetorik ist Achilles war ein Löwe. 37 Achilles war nicht wirklich ein Löwe. Er war bloß ein Mensch, kämpfte aber, so geht die Sage, »tapfer wie ein Löwe«. Die Vorfahrinnen von Grete von Zieritz waren nicht wirklich Maler, sondern Malerinnen, denn sie waren ja keine Männer, sondern bloß Frauen. Aber sie malten
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