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Alle Menschen werden Schwestern

Alle Menschen werden Schwestern

Titel: Alle Menschen werden Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luise F Pusch
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manipulated oder the/rapist hingegen (so Daly) imitieren nicht mehr, sondern treffen ihr Ziel (ebd.).
    Aus feministisch-linguistischer Sicht ist zu der Kritik von Daly zu sagen, daß das Umkehrprinzip nur an den richtigen Stellen wirksam (dort aber auch unverzichtbar) ist: bei den vorgeblich geschlechtsneutralen, jedoch nicht nur >äußerlich maskulinen<, sondern auch >innerlich männlichen<, d.h. männlich konnotierten, die Vorstellung eines Mannes erweckenden Personenbezeichnungen. Für andere Bereiche des Wort»schatzes«, denen das Wort history z. B. angehört, sind andere Strategien angezeigt. Vor allem ist hier die oben anhand der Beispiele Umschließung/Einverleibung statt Penetration veranschaulichte Strategie/Technik der >Gynozentrischen Re-Vision< zu nennen — eine Technik, die Daly virtuos beherrscht.
    Gerd Brantenbergs brillante Satire auf das Patriarchat, Egalias dötre >Die Töchter Egalias< (1977, dt. 1980), ist inhaltlich und sprachlich nach dem Umkehr-Prinzip gearbeitet; die »umgekehrte« Sprache dient hier allerdings nicht der Herstellung sprachlicher Symmetrie für beide Geschlechter, sondern ist logische Folge des »spiegelverkehrten« Inhalts. Die sprachliche Asymmetrie des Patriarchats wird spiegelverkehrt als matriarchalische Asymmetrie minutiös abgebildet und dadurch bewußt (»bewußtseinsfähig«) gemacht. 8
    In der Bundesrepublik war Egalia ein weit größerer Erfolg als in Norwegen, ein viel größerer Erfolg auch als Dalys Gyn/Ökologie. Über die Gründe dieses Erfolgs kann nur spekuliert werden. Mit ein Grund mag aber gewesen sein, daß sich für sprachliche Innovationen nach dem Umkehrprinzip viel leichter auch in der Übersetzung Entsprechungen finden lassen als für die komplexen sprachlichen Re-Visionen einer Mary Daly, die letztlich unübersetzbar sind. Und ein weiterer Grund mag sein, daß auch die Geschichte der feministischen Sprachsensibilität und -kritik in Stufen fortschreitet: Erst wenn mittels des Umkehr-Prinzips gesichert ist, daß Frauen »in der Sprache genauso oft vorkommen wie in Wirklichkeit«, können die anderen Patriarchalismen angegriffen und kreativ überwunden werden. Hierzulande befinden wir uns sozusagen noch >auf der ersten Stufe<, weil wir dort, wegen der besonders maskulinistischen Struktur des deutschen Sprachsystems, auch besonders viel in Ordnung zu bringen hatten und haben. Deshalb kommen vielleicht solche literarischen Werke hier besser an als anderswo, die uns bei dieser Aufräumungsarbeit ein Vorbild/Leitfaden sein können.
    Aber welche Bereiche sind es nun genau, die einer Gynozentrischen Re-Vision bedürfen? Viele Sprachkritikerinnen innerhalb der Frauenbewegung sind davon überzeugt, daß die diversen Sprachen im Patriarchat allesamt patriarchalisch von Grund auf verseucht sind und deshalb von Grund auf erneuert werden müssen. Im deutschen Sprachraum wurde dieser Anspruch zum erstenmal von Verena Stefan in Häutungen (1975) öffentlich formuliert:

    Beim schreiben dieses buches, dessen inhalt hierzulande überfällig ist, bin ich wort um wort und begriff um begriff an der vorhandenen sprache angeeckt. (S. 3, meine Hervorhebung)

    jedes wort muß gedreht und gewendet werden, bevor es benutzt werden kann — oder weggelegt wird. (S. 4, meine Hervorhebung)

    Als besonders irritierend und weiblichem Empfinden entfremdet erlebt Stefan (wie jede einigermaßen sprachsensible Frau) den herrschenden Diskurs über Sexualität:

    Alle gängigen ausdrücke — gesprochene wie geschriebene — die den koitus betreffen, sind brutal und frauenverachtend. [...] Als ich über empfindungen, erlebnisse, erotik unter frauen schreiben wollte, wurde ich vollends sprachlos. (S. 3 f.)

    Ihre Bemühungen, aus dieser Sprachlosigkeit zu einer neuen, eigenen Sprache zu finden, wirkten auf viele Leserinnen jedoch wenig überzeugend. Geradezu hämisch war die Kritik von Classen & Göttle (1979: 59):

    »Häutungen« weist den Frauen eine Zukunft, in der die Verwechslung von Worten und Begriffen als neue Erfahrung und neue (weibliche) Sprache verstanden sein will: Portio statt Ratio, Spekulum statt Brille, Romantik statt Revolution, Anemone statt Amazone.

    Stefan selbst beschließt ihr Programm einer totalen Spracherneuerung denn auch mit einer Entschuldigung und einer Vertröstung:

    in dem vorliegenden text konnte ich noch nicht jedes Wort drehen und wenden, ich mußte erst den Weg dazu freilegen, indem ich einen Bruchteil meiner geschichte abgearbeitet habe, jetzt kann

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