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Alle Menschen werden Schwestern

Alle Menschen werden Schwestern

Titel: Alle Menschen werden Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luise F Pusch
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Bewegungen zielen auf Änderung des Status quo, wie er sich in den Institutionen einer Gesellschaft manifestiert. Nach Auffassung der verstehenden Soziologie gehört die Sprache einer Gesellschaft bzw. Sprachgemeinschaft zu deren zentralen Institutionen. Viele meinen, Sprache sei die wichtigste menschliche Institution überhaupt — mindestens aber sei sie gleichrangig mit den Institutionen Staat, Verwaltung, Wirtschaft, Militär, Justiz, (Hoch)Schule, Kirche usw.
    Die Neue Frauenbewegung hat, durchaus im (vermutlich unbewußten) Einklang mit diesem soziologischen Postulat, von Anfang an vehemente Kritik an der Institution Sprache geübt. Sie stellt fest, daß die Sprachen im Patriarchat, ob Französisch, Englisch, Norwegisch, Chinesisch, Ungarisch, Deutsch, Russisch oder sonst eine Sprache, patriarchalisch organisierte Systeme sind, die der Entpatrifizierung und Feminisierung 50 bedürfen, damit aus ihnen humane Sprachen werden.
    Feministische Sprachkritik manifestiert sich auf drei Ebenen, in dreierlei Form:

    1. als unsystematisch-spontane kreative Leistung sprachbewußter Feministinnen (Laiinnen)
    2 . als systematische, sprachvergleichend und sprachhistorisch fundierte Kritik feministischer Linguistinnen
    3. als komplexe sprachschöpferische Leistung einzelner feministischer Schriftstellerinnen

    Die drei Ebenen lassen sich allerdings in der Praxis kaum trennen. So bezieht sowohl die feministische Linguistin als auch die sprachbewußte feministische Schriftstellerin ihre wichtigsten Impulse aus der allgemeinen »anonymen« kritischen Leistung der (internationalen, und das heißt hier: viel sprachigen) Frauenbewegung in ihrer Gesamtheit. Andererseits wird das kritische Bewußtsein der nicht schriftstellerisch oder linguistisch tätigen Feministinnen durch die Fundierung der feministischen Linguistik und durch die sprachschöpferische Phantasie feministischer Schriftstellerinnen angeregt und geschärft.
    Sprachkritik und sprachliche Innovation gehen auf den Ebenen (1) und (3) — Frauenbewegung allgemein und Schriftstellerinnen — gewöhnlich Hand in Hand: Es bleibt nicht bei dem weiblichen Mißvergnügen am vorgeblich »geschlechtsneutralen« Industriekaufmann oder Vordermann, an den Strichmännchen oder an Bezeichnungen wie Schamlippen und Penetration, sondern diese androzentrischen Mißbildungen bekommen im Augenblick ihrer Entlarvung entweder weibliche Pendants wie Industriekauffrau, Vorderfrau, Strichfrauchen, oder sie werden durch gynozentrische Ausdrücke wie Venuslippen, Einverleibung/Umschließung usw. ersetzt.
    Die Sprachkritik der Neuen Frauenbewegung ist soziologisch, philosophisch, psychologisch, literaturwissenschaftlich und linguistisch außerordentlich interessant. Wissenschaftlich untersucht wurde sie bisher meines Wissens jedoch ausschließlich von feministischen Linguistinnen 51 , die sich mangels institutioneller und finanzieller Unterstützung aber vorerst nur der Ebene (1) widmen konnten: Die feminisierten bzw. entpatrifizierten Sprachvarietäten, die sich in den letzten zehn Jahren in der Frauenbewegung international durchsetzen konnten, wurden relativ gut dokumentiert und analysiert. Anders verhält es sich mit den teils sehr eigenwilligen und tiefreichenden Innovationen von Schriftstellerinnen wie etwa Monique Wittig 52 und Mary Daly, verglichen mit denen die meisten von uns bisher eigentlich nur »an der Oberfläche gekratzt« haben. Die Einführung von s/he für das »generische Maskulinum« he war gewiß eine wichtige und folgenreiche Tat, genau wie die Denunziation und Abschaffung des Wortes Fräulein oder die Einführung des Pronomens frau. Vor allem Mary Dalys Kritik/Wortschöpfungen aber gehen über solcherlei Erste Hilfe weit hinaus.
    Die Laiinnen-Kritik an den patriarchalischen Sprachsystemen bezieht sich hauptsächlich auf das männlich geprägte Feld der Personenbezeichnungen und funktioniert, vergröbernd gesagt, nach dem Umkehr-Prinzip »Aus Maskulinum mach Femininum, vor allem: aus Mann mach Frau«. Eine kompetente Frau ist eine Fachfrau, kein Fachmann. In einer Frauengruppe möchte jede mal zu Wort kommen, nicht jeder (s. den folgenden Sketch).
    Diese Regulierungen haben sich weitgehend durchgesetzt und zeigen vielfältige Wirkung auf unser verkümmertes Selbstbewußtsein: Sie restaurieren allmählich unsere beschädigte Identität, indem sie, endlich, unsere Präsenz im wichtigsten Medium überhaupt, Sprache, garantieren. Wir besetzen sprachlich das Terrain, das uns

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