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Alle Menschen werden Schwestern

Alle Menschen werden Schwestern

Titel: Alle Menschen werden Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luise F Pusch
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soll er jedoch strebsam sein (Anzeigen für teure Chronometer, die ihm die kostbare Zeit zumessen, teure Chef-Sitzmöbel für den kostbaren Hintern und Rücken, teure Büromöbel überhaupt, die allerneuesten Computer). Da Höchstleistung und Saufen nicht gut Zusammengehen, pflegen beide Zeitschriften in ihren Porträts den Supermann, der superleistungsfähig ist, obwohl er säuft und herumhurt. Der Trost für das sehr wahrscheinliche Scheitern des Nacheiferns wird gleich mitgeliefert: Mit dem Supermann nimmt es ein böses Ende, und sein Adept darf sich im [Designer-JSessel zurücklehnen und mit vollem Recht fragen: Hätte sich denn der volle Einsatz überhaupt gelohnt bei diesem Ende?!
    Nebenbei bemerkt: Die Frau wird bekanntlich einem anderen gezielten Widerspruch ausgesetzt: Sie soll liebevoll kochen für sich und ihre Lieben — und ganz, ganz schlank bleiben. Diese widersprüchlichen subliminalen Botschaften werden beide, Frau und Mann, zerreißen und unglücklich machen, d. h. bereit zum tröstenden Konsum, zu den Frust- und Suchtkäufen.
    Für die Anzeigenkunden des Spiegel und des Stern sind die Magazine eines unter vielen Produkten, in denen sie ihre Anzeigen plazieren können. Die Nr. 18 des Spiegel enthält auf 260 Seiten 11 ganzseitige Anzeigen für alkoholische Getränke: fünfmal Bier, dreimal Whisky, ein Wein, ein Brandy, ein Bitter. Kein Wunder, daß der genialische Alkoholiker besonders herausgestellt wird. Die Redaktionen sind bemüht, den Anzeigenkunden ihr Produkt schmackhaft zu machen, indem sie nachweisen, daß erstens das redaktionelle Umfeld, der die Anzeigen umgebende Text, stimmig ist und zweitens, daß sie die richtigen betuchten und konsumfreudigen Leser haben. Insofern sind sicher die Magazine und die Stories bzw. Heldensagen und letztlich auch die porträtierten Herren selbst als Produkte anzusehen. Die Supermänner werden in den Heldenepen so aufbereitet, so »positioniert«, daß die Herren Leser, Manager wie mein Vater und solche, die es werden wollen, an deren Aura, einem mit höchster Raffinesse gestalteten Produkt, teilhaben wollen. Magisch angezogen von dieser Aura, fast wie Süchtige kaufen sie das Magazin regelmäßig und sind so den Anzeigen regelmäßig ausgesetzt.

2.3 Der Held in der >Zeit<

    Die Zeit ist keine Hochglanzbroschüre; sie enthält m. W. keine Anzeigen für »harte Getränke« oder sonstige Dinge, die das Leben des Herrn bunt und schön machen. Dafür gibt es jede Menge große Anzeigen für schöngeistige und ernste Literatur. Der typische Held der Zeit ist denn auch der Geistesriese — das Leibliche ist ihm in der Regel fremd. Kein Thema. Der typische Zezi-Held wird uns wie folgt präsentiert:

    Wittgenstein: [...] eine vielfach zerrissene, sich selbst und andere quälende und begeisternde Seele 7
    Die Gesamterscheinung des Ludwig Wittgenstein, die scharfen Kontraste in den Konturen seines Charakters bleiben undeut-lieh, wenn man die schmerzhaften Spannungen nicht wahrnimmt, die in diesem Kopf, in diesem Leben zusammengezwungen und ausgehalten worden sind. 138
    Frege: Der zeit seines Lebens in seiner überragenden Bedeutung nur von wenigen verstandene Professor aus Jena war der Begründer der modernen mathematischen Logik und damit die eigentliche Quelle der weltweit einflußreichsten Philosophie dieses Jahrhunderts, der »analytischen«. 139

    Trakl (Karl Kraus über Trakl): Es war mir immer unbegreiflich, daß er leben konnte. Sein Irrsinn rang mit göttlichen Dingen. 140

    Kurt Schumacher: Und wer nur einmal dabei war, wie Kurt Schumacher auf einer Massenkundgebung mit zuckenden Gesichtszügen hinter einer geschlossenen Maske sich bis zum äußersten konzentriert, und dann, auf dem Rednerpult, mit hervorgestoßenem Kinn, flackernden Augen und sich beinahe überschlagender Stimme die politischen Leidenschaften der Masse weckt, der sieht es: »Eine Flamme, die sich selbst verzehrt.« 141 (Dies ist ein Zitat aus der Zeit vor 40 Jahren, 28. 4. 1949. Die Zeit ist ihrem bevorzugten Heldentyp all diese Jahrzehnte treu geblieben.)

    Thomas Bernhard: Hier sieht man einen zum Leben wild entschlossenen Todeswütigen am Werk, der sich übt in der Hohen Schule der Einsamkeit. 142

    Der typische Zeit- Held scheint eher Europäer als Amerikaner, vorzugsweise ist er Österreicher, und er ist kein tragischer Wüstling, sondern ein Schmerzensmann, der ringend ein großes Werk in der Stille schafft, unverstanden bleibt, sich verzehrt und nach dem Tod, etwa wie der klassische

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