Alle Menschen werden Schwestern
einladen, ist Emma ein Anti-Name des Protests — aber doch wiederum nicht so gänzlich »entlegen« wie Xanthippe, Sappho, Rhiannon oder Courage.
Jeder Standesbeamte würde Petra und Brigitte als Vornamen anstandslos zu Protokoll nehmen, bei Emma würde er sich vielleicht etwas wundern, aber nichts sagen. Bei Xanthippe oder Sappho jedoch würde er dringend abraten, und Courage oder Rhiannon würde er vermutlich verbieten.
Für feministische Zeitschriften kommen, wegen der Notwendigkeit der Abgrenzung von Brigitte usw., im Trend liegende weibliche Vornamen also nicht in Frage. Wenn es partout ein Vorname sein soll und nicht gleich so etwas wie Kratzbürste, muß frau schon ein bißchen ins Abseits gehen, und nach dem Vorbild von Emma bietet sich da das Altmodisch-Biedere an: Else (Berliner PH-Frauenzeitung), Grete (Nürnberg), Klara (Essen). Und wenn die Tochter schon Eva heißen soll, dann wenigstens Eva offensiv (Zeitschrift der ASF — Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen).
Ist die Täuflingin jedoch keine Zeitschrift, gibt es keine solchen Abgrenzungsprobleme, und es kann auch ein geläufiger bis modisch-extravaganter weiblicher Vorname gewählt werden (nur nicht grade Brigitte etc. natürlich): Die Neue Violetta hatten wir schon. Ein Ensemble für klassische Musik nannte sich Leonarda. Der Frauenbuchladen in Aachen heißt Laure, der in Göttingen Laura, der in Bonn Nora (nach dem Stück von Ibsen), und in Berlin heißt einer Miranda. Das Frauenkulturzentrum in Stuttgart heißt Sarah, und in Berlin gibt es einen Frauentreffpunkt namens Charlotte. Aber wie kommt der Frauenbuchladen in Hannover zu dem komischen Namen Annabee ? Eigentlich sollte er Anna heißen, aber das war den Frauen dann »zu langweilig«, also Änderung zu Anna B. und schließlich zu Annabee. Diese und andere wichtige Auskünfte (besonders zum nächsten Kapitel) verdanke ich Willi Wilms vom Annabee. Sie heißt wirklich Willi — frau nennt sich heute eben, wie sie willi.
10 Schluß: Wir machen uns unsere Namen selbst!
Bisher hat die Frauenbewegung von der gängigsten Möglichkeit der Namengebung für Institutionen fast überhaupt nicht Gebrauch gemacht: die Benennung nach historischen Persönlichkeiten. Literarische Gestalten wie Nora, Mutter Courage oder Pippi Langstrumpf (nach der ein Kinderladen in Berlin benannt wurde) oder Märchengestalten wie Rapunzel und Schneewittchen (Name der erfolgreichsten Frauenmusikgruppe) scheinen beliebter als, zum Beispiel, Frauen der Geschichte wie Bettina von Arnim, Rahel Varnhagen, Hedwig Dohm, Helene Lange, Rosa Luxemburg und und und. Diese Großen kommen als Namensmatronen nicht vor.
Lehnt die Frauenbewegung den Personenkult als typisch patriarchalisch ab? Oder werden diese Namen nur als zu lang empfunden? (Sappho ist auch eine historische Persönlichkeit, aber ihr Name ist kürzer.) Nimmt die Frauenbewegung sich selbst noch nicht ernst genug, zieht sie das Spielerische dem Gewichtigen vor? Die Beantwortung so schwerwiegender Fragen muß ich anderen überlassen; mein kleiner Streifzug durch die feministische Namenslandschaft liefert dafür nicht genügend Anhaltspunkte. Ich kann nur ein paar Vermutungen anstellen. Vielleicht »denkt die Frauenbewegung« etwa folgendes:
»Wir Frauen leben im Patriarchat, >so sicher wie in Abrahams Schoß<. Was eigentlich können wir da mit Fug und Recht als unser eigen reklamieren? Große Frauen der Vergangenheit vielleicht? Verdächtig, denn wer hat sie denn für groß erklärt??!! Wir Frauen jedenfalls nicht, denn dazu gab mann uns nie das Recht. Große Frauen, bisher alle, sind »groß« von Mannes Gnaden. Deshalb ist es, bis wir die Zeit und Kraft zu eingehender Überprüfung gefunden haben, sicherer, die Namen aus anderen Bereichen zu nehmen, aus der Mythologie, dem Märchen, der Natur — und vor allem aus dem Schimpfnamenreservoir.«
Der neueste Trend geht dahin, so erzählte mir Willi Wilms, auch diese vertrauten Bereiche noch zu verlassen und sich die Namen selbst zu machen. Da aber auch unsere Phantasie aller Wahrscheinlichkeit nach patriarchalisch kolonialisiert ist, werden die Namen ausgependelt. Wie das genau geht, wußte sie auch nicht, aber frau merkt es den Namen an, wenn sie gependelt sind. Sie klingen fremdartig. Marockh und Araquin, meinte Willi, sind vermutlich gependelt. Garantiert gependelt ist Colloc.
1985
Laiinnen, Linguistinnen, Literatinnen — die drei »L« der internationalen feministischen Sprachkritik
Politische
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