0050 - Der Gelbe Satan
Durch die blinden Scheiben fiel kaum Licht in den düsteren Anbau des alten Hauses. Die Gegenstände, die in dem Raum verteilt standen, waren nur schwach zu erkennen.
Und das war gut so.
Nicht jeder sollte sehen, was Huang hier aufbewahrte.
Es waren Särge!
Einfache, billige Totenkisten, aus Fichtenholz gebaut und primitiv zusammengenagelt. Särge für die Armen, für die, die sich nicht den Luxus einer teuren Bestattung leisten konnten. Deshalb standen die Särge auch in einem Anbau und nicht in den Auslagen des Beerdigungsinstitutes, denn Huang zählte zu den größten Bestattern in Hongkong.
Hier starben zahlreiche Menschen, und das Geschäft florierte.
Aus Platzmangel standen die Särge zum Teil übereinander. Die windschiefe Totenkisten-Pyramide sah aus, als würde sie jeden Augenblick umfallen.
Nichts unterbrach die Ruhe in dem kleinen Anbau. Alles war still.
Wirklich still?
Einem Beobachter hätten die Haare zu Berge gestanden, hätte er sehen können, was plötzlich mit einem der Särge geschah.
Der Deckel des obersten Sargs bewegte sich!
Er schabte mit den Seiten über das Unterteil, bis ein kleiner Spalt entstanden war.
Im nächsten Augenblick drang ein schauriges Ächzen aus dem Sarg, und plötzlich schob sich eine gelbweiße Hand mit ungeheuer langen Fingernägeln aus dem Spalt. Die Finger bewegten sich. Sie krallten sich in das Holz, und von innen drückte eine Schulter gegen den Deckel der Totenkiste und schob ihn weiter.
Der Spalt wurde größer.
Die Finger ließen den Rand des Unterteils los und bewegten sich wie Schlangen, als würden sie ihre Geschmeidigkeit genau prüfen.
Dann ertönte ein zufriedenes Lachen, und es hörte sich an, als wäre es in den Tiefen der Hölle geboren.
Der Gelbe Satan war erwacht!
***
Ich schnippte meine Zigarettenkippe weg. Sie überschlug sich zweimal in der Luft und landete im Rinnstein.
Ich befand mich in Hongkong. Und Suko war ebenfalls mit von der Partie. Sogar im Auftrag von Scotland Yard. Sir Powell, mein Chef, hatte das durchbekommen. Seitdem er geadelt worden war, tat er Dinge, die er früher mit dem Wort unmöglich bezeichnet hätte. Nun sollte man das alles natürlich nicht überbewerten, denn aus reiner Freundschaft hatte er Suko nicht mitfahren lassen. Schließlich war mein Freund Suko Chinese. Und was lag näher, als ihn in Hongkong, der britischen Kronkolonie, dicht vor der chinesischen Grenze, mitmischen zu lassen. Suko kannte die Mentalität der Asiaten, er wußte, wie man mit den Leuten umzugehen hatte.
Trotzdem hatten wir uns getrennt.
Er recherchierte woanders, und ich stand in New Kowloon inmitten des Hongkonger Trubels.
Ich hatte immer gedacht, in London wäre der Verkehr besonders dicht. Weit gefehlt. Hongkong ließ sich durchaus mit Tokio vergleichen, wo ich ebenfalls bereits ein Abenteuer erlebt hatte. [1]
Vom Straßenkreuzer bis zur altmodischen Rikscha quälte und drängte sich alles durch die Straßen, was Räder besaß. Hupen, Sirenen, Klingeln und Stimmen vereinigten sich zu einem Wirrwarr, das für einen Nicht-Hongkonger zum reinsten Streß wurde. Die Menschen schoben sich förmlich über die Gehsteige rechts und links der Fahrbahn. Zahlreiche europäische Touristen waren darunter, die nach Bangkok gefahren waren und für wenige Tage mal kurz rüberjetteten, um sich Hongkong anzuschauen und sich dabei noch billig einzukleiden.
Schneidereien und Schuhmacherwerkstätten lagen eingekeilt zwischen Massage-Salons und Juwelierläden. Aus unzähligen Restaurants drangen exotische Düfte. Kinos und Sex-Shows protzten mit grellen Reklamen. Farbige Glühbirnen rannten hintereinander her, wurden zu Figuren oder zu leuchtenden Werbespots.
Nightclubs hatten schon am Tage geöffnet. Portiers schrien sich die Kehlen heiser, um Kunden zu locken. Taschendiebe und Bettler waren ebenso unterwegs wie Jugendbanden, Schwerverbrecher oder Touristen. Der Trubel dieser ungeheuer bunten Vielfalt war unübersehbar.
Ich mußte die Eindrücke erst einmal verdauen, bevor ich an meine eigentliche Arbeit ging.
Es ging um Vampire!
Hongkong gehört bekanntlich zur britischen Krone, und alles was dort geschieht, wird auch in London bekannt. So kam es, daß ich eines Tages zu meinem Chef gerufen wurde und Sir Powell mir eine Zeitung unter die Nase hielt.
»Lesen Sie«, sagte er.
VAMPIRE IN HONGKONG
Die Überschrift sprang mir förmlich ins Auge, und sofort war ich alarmiert.
Der Schreiber berichtete, daß eine uralte Sekte ihre Auferstehung
Weitere Kostenlose Bücher