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Alle Menschen werden Schwestern

Alle Menschen werden Schwestern

Titel: Alle Menschen werden Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luise F. Pusch
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von Italien eingewandert ist und jahrelang in der Schweiz keine Bürgerrechte genoß, woraus er folgert, daß sein Vater nicht zur Gesamtheit der Bürger gehörte, woraus man wieder folgern könne, daß die Gesetze in Chur nicht recht sind.« (Schwz. 57) Kein Mucks darüber, daß alle Frauen, auch die einheimischen, bis kurz zuvor nicht einmal das Wahlrecht hatten. In vier Büchern, auf tausend Seiten, nur eine einzige Bemerkung Meienbergs (und was für eine!) zum Skandal des bis 1971 fehlenden Frauenstimmrechts in der Schweiz: »[...] dieser Hitler, der dank dem Frauenstimmrecht an die Macht gekommen ist, wie der Vater immer mit einem triumphierenden Lächeln zur Mutter sagte, wenn die Rede aufs Frauenstimmrecht kam oder auf Hitler.« (Schwz. 17)

    Kantonsschule, Chur. Meienberg fragt die Schülerinnen und Schüler, warum sie eigentlich Geschichte studieren. Bei allen Antworten hakt er kritisch nach, nur bei der letzten, gegeben von einer tschechischen Emigrantentochter, macht er keinen Mucks:
    »Damit wir wissen, wie es die Väter hatten.« (Schwz. 54L) Ebenda: »Wenn der Rektor protestantisch ist, muß der Vizerektor katholisch sein und umgekehrt, im Sinne einer Wahrung des Proporzes.« (Schwz. 46) Der fehlende Geschlechterproporz kommt Meienberg nicht in den Sinn. Die Kategorie »Gerechtigkeit für die Frau« fehlt einfach in seinem Denken.
    Meienberg berichtet bewundernd über einen achtwöchigen Streik in der Bretagne, über die Solidarität zwischen den »Arbeitern« und Bauern. Erst auf der elften Seite des 20seitigen Artikels erfahren wir, daß die »Arbeiter« zu 65 Prozent Arbeiter innen sind. Eine der Arbeiterinnen klärt ihn auf: »wir Frauen sind wirklich die willigsten und billigsten Arbeitstiere, dreifach ausgebeutet, als Prolos, als Bretonen, als Frauen.« (Frkr. 193) Meienberg notiert’s — und vergißt’s. Die Mitteilung verfestigt sich nicht zu einer Kategorie seines Denkens oder Fragens. Er stolpert weiter ohne diese Wünschelrute übers Feld; da liegt zwar jede Menge zum Himmel stinkender Unrat begraben, aber bei Meienberg schlägt nichts aus. Oder vielleicht doch?

    [Auf der Uhr] war ein Lustgarten eingraviert, in der Mitte des Gartens ein Brunnen mit Frauenstatue, die Wasser aus ihren Brüsten spritzte, zwei Sprutz Liebfrauenmilch ins Becken, dem sich höfisch gekleidete Männer näherten, die ihren Frauen unter die Röcke griffen [...] Wohin sie griffen, habe ich erst in der Pubertät begriffen, vorher war es für mich einfach ein golden schimmerndes Zifferblatt, aber in der Pubertät stand ich oft vor dieser Uhr und spürte meinen Schwengel wachsen. (Schwz. 14 f.)

    Schon der junge Meienberg geilt sich auf am Anblick sexuell belästigter Frauen. Das mag für Jünglinge normal sein. Aufschlußreich ist aber, daß M. es nicht schamhaft verschweigt, sondern — stolz? — mitteilt.
    Meienberg zitiert, ohne Protest, die Meinung des Antiquitätensammlers Adolf Engel über Stradivari-Geigen: »Es ist wie mit den Frauen, man muß sie regelmäßig benutzen, sonst sterben sie ab.« (Schwz. 118)
    Meienberg zitiert die Meinung des Dr. Berger über seinen Kollegen Dr. Kopp, der seine Sekretärin mit einem Rohrstock züchtigte: »Wenn es wenigstens noch eine kommune Vergewaltigung im Büro gewesen wäre, das hätte man verkraften können, aber so etwas Abartiges [...]« (Spaz. 250). M.s »zustimmendes Schweigen« signalisiert, daß auch er eine Vergewaltigung passender gefunden hätte; schließlich ist das Vergewaltigen im Büro doch »kommun«, ganz normal...
    Meienberg über »sonstige« Gewalt gegen Frauen: »Der Vater von Ranucci war verstört aus dem Indochina-Krieg zurückgekommen. Seither war er gewalttätig, konnte nicht mehr zwischen Krieg und Frieden unterscheiden. [...] hat den Übergang nicht geschafft, blieb auch zu Hause kriegerisch und prügelte seine Frau: schwere Verletzungen für die Frau, ein Jahr Gefängnis für den Mann.« (Tats. 86) M.s Entlastung Ranuccis überzeugt kaum, ist eher als Komplizitität, bestenfalls als analytisch dürftig zu werten. Bekanntlich brauchen die wenigsten Männer, die ihre Frauen prügeln, dazu eine »kriegerische« Vergangenheit. Daraus folgt, daß nicht der Indochina- oder sonst ein Krieg das Modell für den »alltäglichen« Krieg des Mannes gegen die Frau ist. Es ist vielmehr genau umgekehrt.
    Ranuccis Sohn erreicht eine noch höhere Stufe der Brutalität, die ultimative sozusagen: Er bringt ein achtjähriges Mädchen um. Dazu Meienberg: »Weshalb,

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