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Alle Menschen werden Schwestern

Alle Menschen werden Schwestern

Titel: Alle Menschen werden Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luise F. Pusch
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weiß man nicht, er hat vermutlich durchgedreht. Seine Aggressionen kamen im falschen Moment an die Oberfläche und haben getötet. Es war nicht Krieg.« (Tats. 87) Nicht er hat getötet, es waren nur seine Aggressionen, und »es war nicht Krieg«. Wenn alle Frauen, die »durchdrehen« (Grund dazu haben wir weiß Göttin genug), kleine Buben umbringen würden — vielleicht würde Meienberg dann mit dem Nachdenken anfangen.
    Zurück zur Welt der Arbeit, Meienbergs Fachgebiet. Er zitiert aus einem Artikel im Vorwärts : »Was die Lohnhöhe betrifft, so setzen heute noch viele Gesamtarbeitsverträge den Mindestlohn auf Francs 2.- für Männer und Francs 1.45 für Frauen fest. Wenn aber eine mehrköpfige Familie von 400 oder 500 Franken im Monat leben soll, dann darf man sich nicht wundern, wenn die Radikalisierung Wurzeln faßt.« (Schwz. 180) Grund für die Radikalisierung wäre demnach nur der zu niedrige Lohn, nicht die Ungerechtigkeit gegenüber den Frauen? So scheint es auch Meienberg zu sehen.
    »Die Männer verdienten [...] zwischen 80 Rappen und 1 Franken, die Frauen 45 bis 55 Rappen.« (Schwz. 180) Die Männer verdienten also ziemlich genau doppelt soviel wie die Frauen. Diese Milchmädchenrechnung ist M. vielleicht zu schlicht? Ein Kommentar zu doof? Will er die Tatsachen für sich sprechen lassen, dem Leser [das Maskulinum ist intendiert] die fällige Entrüstung nicht vorbuchstabieren? Aber er ist doch sonst nicht so zurückhaltend!

    »Die Firma H. A. Opitz, ehem.-techn. Produkte, für die er mit Bodenwichse und Kölnisch Wasser hausierte (heute ein Frauenberuf) [...]« (Schwz. 203) Es ist leider zu vermuten, daß M. das nur anführt, um zu zeigen, was für ein bedauernswerter Bursche der von Schweizer Behörden ermordete Ernst S. war: Er mußte die niedrigsten Arbeiten übernehmen... (nämlich solche, die heute nur noch Frauen zuzumuten sind).

    »Immer am frühen Nachmittag, wenn die französischen Hausfrauen sich ans Abwaschen machen, können sie ihre Hantierungen von der Stimme der Großen Schwester [...] begleiten lassen.« (Frkr. 52) Hier ist-neben der objektiven, sich jeden Kommentars enthaltenden Berichterstattung — wieder der Meienbergsche Stil zu bewundern, die zierliche Wortwahl. Das Abwaschen ist keine Arbeit (wird ja auch nicht bezahlt!) — es handelt sich um »Hantierungen«.

    Genug von der Arbeit! Was treiben die Kapitalisten, während die Arbeiter schuften und die Hausfrauen herumhantieren?
    »Zwar gibt es noch den >Cercle de la Grande Société< an der Reichengasse, welcher nur Patrizier und Aristokraten aufnimmt, wo die de Weck, de Diesbach und von der Weyd Bridge spielen und ihre Töchter verkuppeln.« (Schwz. 127 f.) Kein Mucks über das Los der Töchter. Er hat nun mal was gegen »höhere Töchter«, wie er sie gern nennt. Damit sind wir beim nächsten Kapitel angekommen.

Voll unerlöster Männlichkeit 122 oder Die Leiden des jungen Meienberg

Erster Teil: Diese prüden Geschöpfe 123

    Wie kommt es nur, daß der sensible Beobachter Meienberg — doch, diese schöne Eigenschaft soll durchaus nicht bestritten werden, nur beschränkt sie sich leider auf männliche Belange — gegenüber dem Leid von Frauen dermaßen mit Blindheit geschlagen ist? Die aufmerksame Leserin wird den Verdacht nicht los, die Ursache dieser Störung könne eine diffuse narzißtische Wut auf zwei Frauen seiner Kindheit und Jugend sein, die sein zartes männliches Ego gekränkt haben. Die erste Frau wäre Mutter Meienberg (mehr über sie im zweiten Teil dieses Kapitels), die zweite Cécile, die sanfte und kluge Tochter aus reichem Hause. Die Wut auf die Übermacht der Mutter und die Unerreichbarkeit Céciles könnte sich irgendwann verselbständigt und auf das gesamte weibliche Geschlecht (und die Reichen und Mächtigen schlechthin) ausgedehnt haben. Hier zunächst die Leidensgeschichte Meienbergs, von ihm selbst erzählt (ja, er findet ergreifende Worte — für eigenes und sonstiges Männerleid):

    [Ich] hätte auch den Lateinunterricht längst quittiert, wäre er nicht in dieser Schule die einzige Möglichkeit gewesen, Cécile E. aus der Nähe zu betrachten, nachdem für alle übrigen Fächer eine strikte Geschlechtertrennung herrschte; in welche Cécile ich mich sehr verliebte. Vielleicht war es nicht nur die Person, sondern auch ihre hervorragenden Leistungen auf dem Lateinsektor, welche die Liebe erzeugten, die unerreichbaren Sechser und Fünf-bis-Sechser, zu welchen ich bewundernd aufschauen konnte,

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