Alle müssen sterben - Thriller (German Edition)
für Schlaf hatte. Daher hatte ihn der Anruf wach, wenn auch nicht nüchtern erreicht.
Ja, wenn er abgestürzt wäre, dann hätte er jetzt alle Zeit der Welt, aber er hatte wieder einmal unendlich viel Glück gehabt und dieses verdammte Glück feierte er mit einigen Dosen Bier, um das Adrenalin abzubauen und sich zu entspannen.
Als er über den Rand des obersten Containers hinaus ins Leere gestürzt war, schien sein Leben anzuhalten und er war bereit für die große Befragung, das letzte Verhör: Ob die ganze Scheiße, die Tag für Tag auf ihn niederprasselte wie der verdammte Regen, der Sinn seines Lebens gewesen war? Hatte sich das ausgezahlt? Wäre es nicht klüger gewesen, doch noch den imaginären Marathon zu laufen, auch ohne den Freund, der keiner mehr war?
Alles Scheißgedanken.
Er hatte überlebt und war schon auf dem Weg zu diesem Treffen, das so wichtig und geheim zu sein schien, dass nur um vier Uhr morgens eine Besprechung möglich war. Aber ihm konnte das nur recht sein. Er starrte auf seine Handflächen, die mit blutigen Streifen durchzogen waren und wie Grillfleisch aussahen. Er hatte im Sturz vom Containerstapel den geöffneten Eisenriegel gepackt, zunächst geglaubt, es würden ihm die Arme aus dem Körper gerissen, doch er hatte nicht locker gelassen. Unter seinem Gewicht war der Riegel träge nach außen geschwungen und er war in einem rechten Winkel zum Container in der Luft gebaumelt, hatte sich an dem Eisenriegel festgehalten, dessen Kante wie ein Messer in seine Finger schnitt. Dann hatte er es irgendwie geschafft, nach unten zu kommen. Der Sprayer war zwar verschwunden, aber Braun war froh gewesen, noch am Leben zu sein. Mittlerweile hatte sich seine Euphorie darüber wieder gelegt, denn das Leben ging genauso beschissen weiter wie zuvor: Es regnete und Kim hatte er noch immer nicht erreicht.
Er probierte es ein letztes Mal unter ihrer Nummer, als er auf den Parkplatz beim neuen Rathaus fuhr, in dem ein einziges Büro erleuchtet war, er wurde also bereits erwartet. Ein bronzefarbener Porsche, dessen Sonderlackierung im gelben Parkplatzlicht wie Scheiße aussah, stand einsam im Regen und wartete sicher auf einen reichen Schnösel, der noch besoffen in einer Bar herumhing.
Während er mit dem Lift nach oben fuhr, überlegte er, ob er seine halblangen schwarzen Haare einem radikalen Kurzhaarschnitt opfern sollte, kam aber zu keiner Entscheidung. Im Spiegel überprüfte er den Sitz seines schwarzen Anzugs, schnippte ein Fussel von seinem weißen T-Shirt. Zu Hause hatte er nur schwarze Anzüge und weiße T-Shirts, das erleichterte die Auswahl nach dem Aufstehen ungemein.
Im ganzen Gebäude war es geisterhaft still, als er durch den Korridor ging. Vor der Tür blieb er stehen, denn von drinnen war ein Knallen zu hören, dass er nicht so richtig einordnen konnte. Früher wäre ihm dieses Knallen überhaupt nicht besonders aufgefallen. Lag es vielleicht daran, dass sich in der Nacht auch bei den Menschen die Sinne schärften, wie bei einem Raubtier? Oder war es einfach die Tatsache, dass nachts nicht ständig das Telefon schrillte und Beamte an die Tür klopften, um Akten vorbeizubringen oder Informationen auszutauschen? Überhaupt hatte es den Anschein, als würde sich sein Leben immer stärker vom Tag in die Nacht verlagern und eine eigene Parallelwelt aufbauen, in der lichtlose Geschöpfe durch regennasse Straßen huschten und sich zu konspirativen Zusammenkünften in dunklen Räumen trafen. Aber auch Elena Kafka, der Polizeipräsidentin, schien es ähnlich zu gehen, denn war es normal, Besprechungen um vier Uhr morgens abzuhalten? Er straffte seine Schultern und trat ein.
„Gegen ein Uhr morgens wurde ein Mann auf einem Segelschiff mitten auf dem Traunsee in Gmunden verbrannt.“ Braun stand noch immer in der geöffneten Tür und hörte Elena Kafka zu, die ihren Gummiball, den sie enervierend monoton gegen die Wand geschossen hatte, jetzt zwischen ihren Handflächen drehte und weitersprach.
„Es gibt einen Zeugen, einen Fischer namens Georg Hauser, der gesehen hat, wie der Mann verbrannt ist. Er hat einige Fotos mit seinem Handy gemacht. Ich habe sie bereits auf meinem Computer.“
„Ein spektakulärer Mord, der Täter wollte damit wohl Eindruck machen.“ Braun blickte Elena Kafka fragend an, die sich jetzt hinter ihren Schreibtisch gesetzt hatte, in einem schwarzen Büchlein blätterte und kurz und knapp noch weitere Fakten zu dem Fall mitteilte.
„Der Zeuge glaubt, noch ein
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