Alle müssen sterben - Thriller (German Edition)
auf der von Lenka wüst zerkratzten Arbeitsfläche stand und das eine Streamfunktion hatte, hörte er gerade die letzten Sätze, die Tony Braun mit einem Handtaschendieb wechselte und dann dröhnte einer von Brauns Lieblingssongs aus dem Lautsprecher.
Voller Stolz hatte ihm Braun die Maxisingle gezeigt, eine Picture Disc mit dem Foto von Morrissey, wofür Braun eine absurde Summe gezahlt hatte. Braun war eben anders.
Auf Braun konnte man sich verlassen. Braun hatte ihn auch gedeckt, als er Drogen für Lenka bei einer Razzia abgezweigt hatte. Braun hätte ihn nie bei Geyer von der internen Ermittlung angeschwärzt. Braun war kein Kumpel-Typ, aber loyal zu seinem Team. Auf allen Vieren kroch Gruber zu dem offen stehenden Weinschrank und griff nach einer Flasche, ohne auf das Etikett zu achten. Er goss sich ein volles Glas ein, verschüttete aber die Hälfte und trank das Glas in einem Zug leer. Dann packte er die Flasche beim Nachschenken so ungeschickt, dass diese umkippte und der Wein über den sauteuren geölten Vintageparkettboden floss. Noch immer dröhnte der Song aus dem Lautsprecher des Radios und mit zitternden Fingern griff Gruber nach seinem Handy und wählte Brauns Nummer. Er kam allerdings nur auf die Mailbox, doch dort wollte er keine Nachricht hinterlassen, denn was hätte er auch sagen sollen? Hallo, Braun, ich habe dich an Petersen verraten und wahrscheinlich platzieren seine Handlanger jetzt gerade eine Bombe unter deinem Wagen, um dir einen Denkzettel zu verpassen!
Er warnte ihn nicht.
Hätte er doch auf die Mailbox sprechen sollen? Sollte er Braun vielleicht doch warnen? Was aber war dann mit Lenka? Jetzt hörte er wieder Brauns Stimme, klar und deutlich, ohne den Zungenschlag, den er sonst nach mehreren Dosen Bier hatte. Im Augenblick war ein überdrehtes Mädchen in der Leitung, eines jener Riot Girls, die es seit Neuestem auch im konservativen Linz gab und die mit Vorliebe Jungs verprügelten. Diese Girls hatten im letzten Monat einem Jungen einfach aus Langeweile den Kopf eingeschlagen, jetzt war er ein Pflegefall. Jetzt war eines der Mädchen vom schlechten Gewissen gepeinigt und schüttete Braun ihr Herz aus.
„Ich … ich wollte ihm doch nichts tun“, schluchzte es aus dem Lautsprecher.
„Hör auf zu flennen“, grunzte Braun und Gruber hörte wieder das charakteristische Zischen beim Öffnen einer Bierdose. „Hättest du dir früher überlegen müssen. Jetzt gilt es, die Konsequenzen zu tragen!“
Ja, die Konsequenzen! Gab es für ihn irgendwelche Konsequenzen, dachte Gruber und versuchte die Weinflasche wieder aufzustellen. Die einzige Konsequenz wäre wohl ein stilvoller Abgang! Er musste laut auflachen! Stilvoll, das war wohl ein Witz! Was war an ihm denn noch stilvoll? Er war ein Verräter und tiefer konnte man nicht mehr sinken, das war sein Stil, der Stil eines Verräters und Losers!
Er drückte die Rufwiederholung auf seinem Handy und landete abermals auf Brauns Mailbox. Kein Wunder, denn Braun redete ja noch immer mit dem Riot Girl, das Braun jetzt anscheinend so weit gebracht hatte, dass sie den Jungen in der Reha besuchen wollte, um Abbitte zu tun.
Abbitte.
Verrat.
Scheißworte! Aber für Gruber waren diese Worte mehr als nur Floskeln und langsam zog er sich am Tresen hoch. Er suchte seine Glock, die auf dem verfickten Mah-Jong-Sofa lag, für das er Geld von einem Tipp abgezweigt und das seinen Untergang eingeleitet hatte. Er entsicherte die Waffe und hielt sich den Lauf an die Schläfe, während im Radio das Mädchen flennte und davon schwafelte, den zum Krüppel geschlagenen Jungen bis an ihr Lebensende pflegen zu wollen. Braun versprach dem Mädchen, gemeinsam mit ihm in die Reha zu fahren, wenn es die Schuld auf sich nehmen würde.
Schuld.
Sühne.
Auch er würde die Schuld auf sich nehmen und sich eine Kugel durch den Schädel jagen, der sowieso völlig leer und hohl war. Aber Braun würde sein Versprechen nicht mehr einlösen können. Braun würde nicht mit dem Riot Girl zu dem Krüppel fahren können, denn Braun würde bald tot sein.
Tot.
Sterben.
Jetzt war es heraus: Braun würde diese Nacht sterben, das hatte Petersen ja ziemlich unverblümt gesagt, als er gegangen war. Braun war einem von Petersens Geschäftspartnern in die Quere gekommen. Es musste sich schon um ein großes Ding handeln, dass man dafür einen Chefinspektor über die Klinge springen ließ.
Als Gruber wieder zu dem Tresen wankte, hatte Braun aufgehört, mit dem Riot Girl zu reden,
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