Alle müssen sterben - Thriller (German Edition)
zu seiner Verwunderung fest, dass er es nicht gespürt hatte.
Jonas spürte weder Kälte noch den rissigen Beton. Er sah nur den Strahl der Lampe, der sich an seinem Körper entlang nach unten tastete, dann wieder aufwärtstanzte und schließlich auf seiner Brust verharrte. Die Lampe wurde jetzt auf den Betonboden gelegt und ihr Schein flackerte unruhig hin und her, warf riesige Schatten an die Wände der Halle, vergrößerte die Gestalt ins Monströse.
Die behandschuhten Hände tauchten in seinem Blickfeld auf und ließen eine lange, glänzende Schere auf- und zuschnappen, die im Schattenspiel an der Wand wie ein gefräßiges spitzes Maul aussah, das ihn zu verschlingen drohte. Merkwürdig unbeteiligt sah Jonas, wie mit der Schere sein Kapuzen-Shirt aufgeschnitten und seine entblößte Brust sichtbar wurde. Jetzt tauschten die behandschuhten Hände die Schere mit einem silbrig leuchtenden Messer und er konnte nur noch sehen, wie das Messer sich auf seine Brust senkte und die Haut zerteilte. Doch seltsamerweise spürte er auch diesmal keinen Schmerz.
Das schien auch die Gestalt bemerkt zu haben, denn jetzt wurde das Messer zur Seite gelegt und er wurde wieder über den rissigen Beton gezerrt. Ein verwitterter Reifenstapel erschien in seinem Blickfeld, dann wurde er hochgeschoben und an die Reifen gelehnt. Wieder tauchte ein Messer auf, näherte sich wie eine rostfleckige Schlange seiner Brust. Jonas sah, dass es ein altes, rostiges Jagdmesser mit einer stumpfen Klinge war. Erstaunt blickte er nach unten, wo die Gestalt das stumpfe Messer jetzt mit beiden Händen hielt, um so mühsam seine Haut zu zerfetzen. Wieder spürte er keinen Schmerz, als die rostige Klinge tief in das Fleisch eindrang. Ein dicker Strahl Blut schoss aus seiner linken Brust, als ein Fetzen Haut, der entfernt die Form eines Herzens hatte, mühsam abgetrennt wurde. Geschickt wich die Gestalt dem Blutstrahl aus und ließ das Messer sinken. Mit den Händen zerrte und riss die Gestalt dann an dem Hautfetzen, der mit einigen Fasern noch mit Jonas’ Körper verbunden war. Dann klatschte ihm die Gestalt das noch blutige Stück Haut wütend auf das Gesicht und Jonas roch Blut und Fäule und Tod. Plötzlich ließ die Betäubung nach und der Schmerz trat mit aller Wucht ein. Jonas Blau versank in eine tiefe, namenlose Dunkelheit, die ihn zurückkatapultierte in seinen Alptraum, der in einer schmutzigen Unterführung zum Stillstand gekommen war. Doch diesmal blieb das schöne Mädchen mit dem Feuermal verschwunden.
35. Der Geheimcode und ein Gast
Elena Kafka war knapp davor gewesen, sich zu betrinken. Tony Brauns Frage, warum sie ihre Uhr am rechten Handgelenk trug, hatte plötzlich einen Zipfel des schwarzen Vorhangs gehoben, den sie über ihre Vergangenheit in Washington gelegt hatte. Die Szene kam ihr vor wie ein Filmtrailer und sie war die Kinobesucherin, die sich selbst auf der Leinwand sah. Sie sah sich in einem hellen, funktionellen Büro, das durch halbhohe Trennwände in verschiedene Nischen unterteilt war. Sie war so verdammt jung und ehrgeizig, hatte diese amerikanische „Anything goes“-Attitüde verinnerlicht, hielt sich für unbesiegbar.
Aufgeregt stand sie in einer dieser Arbeitsinseln und Dave lehnte lässig an seinem Schreibtisch und studierte einen Bewertungsbogen – ihren Bewertungsbogen. Langsam blickte er hoch und musterte sie mit seinen unergründlichen dunklen Augen, sagte ihr in seinem unglaublich schönen Englisch, dass sie ab jetzt ihre Uhr rechts tragen müsse. Dann drehte er sich um und verschwand mit einer raubtierhaften Grazie, wie sie nur Schwarze haben können, hinter den Trennwänden, ohne eine nähere Erklärung abzugeben. Doch Elena wusste, dass die Uhr am rechten Handgelenk ein Geheimcode war, der eine Gruppe von Menschen zu einer verschworenen Einheit machte und dass sie ab sofort ein Teil von Daves Team war. Sie hatte es geschafft! Doch das fünfköpfige Team von Dave gab es nicht mehr und der Vorhang senkte sich wieder über diese Erinnerung.
Elena gab Gas, der Motor des Porsches heulte auf und das Auto schoss über die Stadtautobahn, auf der um diese Zeit fast kein Verkehr war. Bei einem Autobahnzubringer musste sie den Porsche scharf abbremsen, wäre beinahe mit einem dunklen Minivan kollidiert, der ohne zu bremsen einfach auf die Fahrbahn schoss, im Aquaplaning hin und her schlingerte, dann aber hatte der Fahrer schnell wieder die Kontrolle über sein Fahrzeug erlangt und raste weiter mit überhöhter
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